Anno 1800

Wie war das doch?
PC aufdrehen, Spiel starten, Spielstand zurückladen, weiter geht es.
Wie ist es nun?
Schachtel aufmachen, Spielmaterial entnehmen, den Spielern zuteilen, 120 Bau-Plättchen sortieren, los geht es.

Die Bauern haben nicht immer eine grüne Gesinnung.
Nicht jeder Arbeiter trägt einen Blaumann.
Arbeiter wählen nicht immer sozialistisches Rot.
Zu Investoren passt das Türkis der ÖVP recht gut.
Nur mit dem Lila der Ingenieure kann ich nichts anfangen.
Als Eselsbrücken taugen die Farben aber gut.

Die Arbeit beginnt vor dem Spiel.
Spielanleitung lesen.
Plättchen sortieren.
Da ist man gut und gerne zwei Stunden beschäftigt.

ANNO 1800 ist die Umsetzung des PC Spiels von Ubisoft.
Ich kenne das Spiel nicht.
Soll aber gut sein.
Ob das Brettspiel gut ist, werde ich herausfinden.

120 kosmische Minuten

Jeder Spieler startet mit seiner bereits stark industrialisierten - aber ausbaufähigen - Heimatinsel.
Viele Basisfabriken und -fertigungsbetriebe stehen zur Verfügung, ebenso Personal.
Vier Bauern, drei Arbeiter und zwei Handwerker warten im Wohnbereich auf ihren Einsatz an farblich passender Stelle. 
Ingenieur und Investor stehen uns zu Beginn nicht zur Verfügung.
Wir sind zudem Eigner von zwei kleinen Handelsschiffen und einem Erkundungsschiff sowie einer Werft.

Auf dem zentralen Spielplan - der eigentlich einer Excel-Tabelle eher ähnelt als einem Spiel - sind die sortierten und in kleine Zweierstapel aufgereihten Plättchen einigermaßen übersichtlich präsentiert.
Nur von den Werften und Schiffen gibt es mehr als zwei Stück.
Alle anderen Industrien sind limitiert.
Das hat im Spiel zu zweit keine Auswirkung, für drei oder vier Spieler steht eben nicht alles zur Verfügung.

Auf diesem Plan finden sich auch die Kartenstapel für

  • Bauer/Arbeiter - Karten
  • Handwerker/Ingenieur/Investor - Karten
  • Neue Welt - Karten
  • Expeditions - Karten

Neun Karten auf die Hand

Sieben Bauer/ Arbeiter-Karten und zwei Handwerker/ Ingenieur/ Investor-Karten bekommt jeder Spieler zu Beginn auf die Hand. Die genaue Analyse dieser Karten und die damit sich ergebenden Bedürfnisse bestimmen die Strategie der ersten Spielphase.
Welche Industrien brauche ich um die Anforderungen der Karten zu erfüllen?
Dabei sind folgende Gegebenheiten zu beachten:

  • Waren werden produziert und sofort verbraucht
  • Waren dürfen - ohne Einspruchsrecht des Besitzers - erhandelt werden
  • Bevölkerungszuwachs auf der Insel bedeutet weitere Handkarten
  • Das Spielende ist eingeläutet, wenn ein Spieler keine Handkarte mehr hat

Da zwickt sich doch was.
Hier möchte ich besonders auf das Kapitel „Tipps für den Einstieg” in der Spielregel hinweisen. Dort wird ganz klar erklärt, dass das zwischenzeitliche Vermehren der Handkarten nicht beunruhigen sollte und dass das Ende der Partie durchaus rasch kommen kann. 
Das stimmt. 
Dass das Ende aber erst nach rund 150 Minuten erreicht ist, muss man aber auch wissen.
Die Spieldauerangabe von 120 Minuten scheint nahezu realistisch, wenn alle Spieler wirklich wissen, wie der Hase läuft und den Hasen nicht durch lange Überlegungen zu sehr bremsen.

Der generelle Ablauf

Ich kann in meinem Zug beliebig viele Waren produzieren, indem ich entsprechende Leute in die Fabriken schicke. Der Bauer erntet Getreide und der Arbeiter baut Kohle ab, damit kann ich eine Bierbrauerei bauen.
Die beiden Leute sind dann für diese Runde erschöpft, erst beim Stadtfest - das ist quasi Passen und Regenerieren - dürfen alle Menschen wieder nach Hause in die Wohnviertel.
Mit Gold kann ich Menschen auch früher wieder nach Hause holen.
Das nennt sich Schichtende.
Je höher die Profession, desto mehr kostet das.

Während zu Beginn auch Bauern wichtig sind, ändert sich das im Verlauf des Spiels und so ist auch ein Aufstieg vom Bauern zum Arbeiter, vom Arbeiter zum Handwerker und bis hinauf zum Investor möglich. Auch hier gilt: je weiter oben in der Hierarchie, desto teurer.
Weil der Platz auf der Heimatinsel durch fortwährende Industrialisierung irgendwann zu eng wird, kann man Inseln der alten und neuen Welt erkunden und nutzen. 
Alte Welt-Inseln liefern vorwiegend neuen Bauplatz.
Neue Welt-Inseln liefern rare Rohstoffe wie Kautschuk, Kaffee, Kakao oder Baumwolle.
Diese Güter der neuen Welt können auch nicht erhandelt werden.
Man muss sie selbst haben. 
Das ist insofern problematisch, als damit gewisse Bedürfnisse der Bevölkerungskarten nicht erfüllt werden können, wenn sie fehlen und niemand baut, was ich bräuchte.
Habe ich keinen Kaffee, dann werde ich kein Kaffeehaus bauen können.
Habe ich keinen Tabak, dann wird es nichts mit Zigarren.
Das Erkunden einer Neue Welt-Insel bringt auch wieder drei neue Bevölkerungskarten.
Wer die Ressourcen hat, soll auch einen Nachteil haben. 

Bevölkerungskarten bringen Punkte

Befriedigte Karten-Bedürfnisse bringen aber einerseits Siegpunkte, andererseits auch Goodies.
Das können weitere Bevölkerungssteine, kostenlose Upgrades auf die nächste Profession, Handelsplättchen, Erkundungsplättchen, Gold, eine weitere Aktion, Expeditionskarten oder das Weglegen von Handkarten sein.

Speziell die letzte erwähnte Aktion ist gegen Ende des Spiels ausgesprochen brauchbar.
Während pro Zug nur eine Karte gespielt werden darf, dürfen beliebig viele der früher gespielten Karten in einem Zug genutzt werden.
Kluge Planung ist auch hier gefragt.

Handelsplättchen und Erkundungsplättchen

Handelsplättchen benötigt man zum Erhandeln von Waren der Mitspieler.
Die Plättchen erschöpft man für diese Runde, der Besitzer der gewünschten Ware bekommt unabhängig vom Wert der Ware eine Goldmünze.
Das fühlt sich ein wenig nach Betrug an.
Aber schließlich darf jeder alles erhandeln, sogar Waren, die man selbst produzieren könnte.
Manchmal ist der Handel günstiger als es selbst zu erzeugen.
Handelsplättchen benötigt man auch für Ressourcen von den eigenen Neue Welt-Inseln.

Erkundungsplättchen braucht man für das Entdecken neuer Inseln.
Mit jeder weiteren Insel wird das Entdecken teurer.
Auch manche Bevölkerungskarten fordern Erkundungsplättchen.

Man braucht alles und viel davon

Das kann als generelle Maxime gelten.
Außer für die Handkarten.
Die will man loswerden und das Spiel in die Zielgerade bringen.
Der Spieler, der das schafft, bekommt das Feuerwerkplättchen im Wert von sieben Siegpunkten.
Das kann - und hat - gegen mich entschieden.
138 zu 136, nur wegen des Feuerwerks.

Spieletester

15.03.2021

Fazit

Das Spiel fordert enorm viel Aufmerksamkeit.
Die Übersicht zu behalten ist schwierig.
Im Spiel zu zweit geht das noch einigermaßen, bei vier Spielern ist es unmöglich, sich zu merken, wer was gebaut hat und bei wem welche Ressourcen zu haben sind.
Fragen ist erlaubt, aber lästig.
Und Zeit raubend.
Interaktion findet eigentlich kaum statt, daher schade, dass es keine Solo-Variante gibt.
Die Regel ist wirklich gut gelungen, es sind alle Fälle klar und deutlich beschrieben.
Keine Kleinigkeit, bei so einem verschlungenen Werk.

Das Handling ist etwas gewöhnungsbedürftig (Waren dürfen nicht gelagert werden), funktioniert aber wunderbar und die zumeist kurzen Spielzüge gehen flüssig von der Hand, wenn man weiß, was man will.
Hier liegt aber auch der Grund für die überlange Spieldauer.
Man kann viel machen, wofür soll man sich entscheiden?
Viele Optionen sind nahezu gleich gut und was die Zukunft in Form von Bevölkerungskarten bringt, ist ungewiss.
Der Glücksfaktor ist durchaus vorhanden.
Setzt man auf eine spezielle Industrie und bekommt Karten, die diese Produkte erfordern, hat man es richtig gemacht.
Sonst eben Pech gehabt.

Ein Lob muss man dem Verlag und der Redaktion aber generell noch aussprechen.
Mit einem echten Expertenspiel und einer Spieldauer jenseits der 120 Minuten ist man bei Kosmos ein Wagnis eingegangen, das belohnt werden sollte.

Redaktionelle Wertung:

Plus

  • ansprechendes Material
  • sehr gute Spielregel
  • grundsätzlich sehr flüssiger Ablauf
  • endlich ein Verlag, der sich mal was traut

Minus

  • keine Solo-Variante
  • die Übersicht geht mitunter verloren
  • gewöhnungsbedürftig, dass man nie Waren auf Vorrat hat
  • hohe Vorbereitungszeit
  • speichern des Spielstands nicht so einfach möglich :-)

Teilen mit facebook twitter

Kommentar verfassen

Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 2 bis 4
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: 90 bis 120 Minuten
Preis: 45,00 Euro
Erscheinungsjahr: 2020
Verlag: Kosmos
Grafiker: Fiore GmbH
Zubehör:

4 Spielhilfen
1 Spielplan
4 Heimat-Inseln
12 Alte-Welt-Inseln
8 Neue-Welt-Inseln
120 Bauplättchen
1 Startspieler-Plättchen
130 Marine-Plättchen (77 Handel-Plättchen in Bronze, 53 Erkundungs-Plättchen in Silber)
38 Gold-Plättchen mit Wert 1 und 2
102 Bevölkerungs-Karten (46 Bauer/Arbeiter, 32 Handwerker/Ingenieur/Investor, 24 Neue Welt)
22 Expeditions-Karten
20 Auftrags-Karten
125 Bevölkerungs-Steine (25 grüne Bauern, 40 blaue Arbeiter, 25 rote Handwerker, 20 lila Ingenieure, 15 türkise Investoren)
1 Spielanleitung

Anzeige

Statistik

Derzeit findest Du auf spieletest.at 7192 Gesellschaftsspiele-,
1656 Videospielrezensionen
2306 Berichte.