The Gallerist

Wir schreiben das Jahr 2015. Vital Lacerda, bereit als Autor von komplexen Vielspieler-Spielen bekannt, veröffentlicht sein neuestes Werk "The Gallerist" und niemand rechnet mit einem simplen Mal- und Partyspiel.
Im Jahr 2019 hat sich "The Gallerist" als Lacerdas bis dato beliebtestes Spiel etabliert und ich durfte selbst in den Genuss von 3,1 kg Schachtelgewicht und einer noch schwereren Spieltiefe (BGG Complexity Rating 4,27) kommen.
Ich habe "The Gallerist" in der englischen Version von Eagle Gryphon Games getestet. Das Spiel ist allerdings weitgehend sprachneutral und eine übersetzte Anleitung lässt sich auch finden.

"The Gallerist" macht sich den wirtschaftlichen Aspekt der Kunstszene zum Thema. Als BesitzerIn einer Kunst-Gallerie werden KünstlerInnen entdeckt und gefördert, ihre Kunstwerke erstanden, ausgestellt und verkauft und wer am Ende die dickste Geldbörse vorweisen kann, gewinnt.

Zur Ausstattung und Spielmaterial
"The Gallerist" ist kein günstiges Spiel (heutzutage 70-100€). Ein Grund dafür ist sicher die opulente Ausstattung. Die Spielpläne, Spielmarker und Geldmünzen bestehen aus dicker Pappe, die hölzernen Assistenten- und Besucher-Meeple befinden sich in einem schönen Stoffbeutel und das einzige sichtbare Plastik ist das massgeschneiderte Inlay, welches für Ordnung in der Schachtel sorgt. Besonders bemerkenswert sind außerdem die drei kleinen beigelegten Holzstaffeleien. Anstatt die 3 Gemälde-Plättchen, welche am Spielende als Meisterwerke verteilt werden, einfach einsichtig neben den Spielplan zu legen, werden sie während des ganzen Spiels auf den Staffeleien präsentiert - eher unnötig als notwendig, macht aber Eindruck. Die Gemälde-Plättchen zeigen Abbilder von realen, modernen Kunstwerken. Mehr zu diesen erfährt man durch die nette Referenz auf den letzten Seiten der Anleitung, welche den Werken und ihren Künstlern gewidmet ist.
Die Ikonografie ist gut gelungen und intuitiv, allerdings gibt es wirklich viel davon und sie muss, wie so einiges in diesem Spiel, erstmal verinnerlicht werden.  
Dafür hält das Spiel für jede/jeden SpielerIn eine umfassende Spielhilfe parat - sie zeigt alle Aktionsmöglichkeiten auf der Vorderseite und eine Referenz für alle Ikons auf der Rückseite. Während solche Spielhilfen bei vielen Spielen nach den ersten paar Partien oft für immer in der Schachtel verstauben, haben wir sie bei diesem Spiel auch in der 6. Partie gerne verwendet.

Zum Spielablauf
Das Spiel stellt die SpielerInnen Zug für Zug vor eine zunächst recht überschaubare Aufgabe: Setze deine Galleristen-Figur auf einen der 4 verfügbaren Orte und führen dadurch eine Ortsaktion aus. Danach ist der nächste Spieler an der Reihe. Eine Gallerie zu führen ist einfach, denken sich die jungen Gallerie-BesitzerInnen. Zu einfach, dachte sich wohl Herr Lacerda und erweiterte die anfängliche Aufgabe um ein dutzend weitere Entscheidungen.
  • An jedem Ort müssen sich die Spieler zwischen 2 unterschiedlichen Ortsaktionen entscheiden.
    Künstlerviertel: a) KünstlerIn entdecken, b) Ein Kunstwerk kaufen & austellen
  • Agentur: a) Einen Vertrag unterschreiben, b) Ein Kunstwerk verkaufen
    Medienzentrum: a) Assistenten einstellen, b) KünstlerIn fördern
    Internationaler Kunstmarkt: a) Ruhm erhalten, a) Auf ein internationales Meisterwerk bieten
  • Jede dieser 8 verschiedenen Ort-Aktionen ist thematisch recht einfach fassbar, setzt sich jedoch aus 3-7 aufeinanderfolgenden Teilschritten und Auswirkungen zusammen. Das ist der Hauptgrund für die dringend benötigte Spielhilfe.
  • Fast jede der Ort-Aktionen stellt gewisse Vorbedingungen, die man erfüllen muss um die Aktion überhaupt ausführen zu können: etwas Geld, genügend Ruf, freie Assistenten, das geeignete Gemälde, den richtigen Vertrag und/oder ausreichende Besucher in der Gallerie.
  • Jede Ort-Aktion liefert, abhängig vom ausliegenden Angebot oder der Position am Spielbrett, unterschiedliche Resultate und durch jede gewählte Aktion ändern sich ebendiese Angebote und Positionen. Gutes Timing ist erforderlich.
  • Zusätzlich zur gewählten Ort-Aktion können die SpielerInnen auch eine von zwei möglichen Exekutiv-Aktionen ausführen. Hierbei können entweder
    .. mittels Einladungen Besucher in die eigene Gallerie gelockt werden.
    .. oder ein Assistent auf eine eigene freie Vertragskarte gestellt werden um einen Bonus zu erhalten.

Die jungen Gallerie-BesitzerInnen stöhnen auf und vergraben den Kopf tief in ihren Händen. Zug für Zug die richtigen Entscheidungen zu treffen ist kein leichtes Unterfangen. "Was will ich diesen Zug tun?" trifft auf "Was will ich in den nächsten Zügen tun?" trifft auf "Was muss ich jetzt tun, um die notwendigen Vorraussetzungen zu schaffen, damit ich danach tun kann was ich eigentlich will?". Es braucht somit nicht nur kurz- und langfristige Pläne, sondern auch eine gehörige Portion Vorausblick um die eigene Gallerie gut und effizient zu führen. Und schließlich gilt es auch noch das Tun der geschätzen Kollegen zu beachten, den fast jede Aktion ändert die ausliegenden Angebote, was wiederum die eigenen Pläne vernichten oder neue Möglichkeiten eröffnen kann.
Immer noch zu einfach, sprach Herr Lacerda, und erweiterte "The Gallerist" um Kicked-Out Aktionen. Wenn eine Galleristen-Figur auf einen Ort gesetzt wird, wird eine bereits dort sitzende Figur verträngt und der/die verträngte Spieler darf eine Kicked-Out Aktion ausführen. Und in typischer Lacerda Gewohnheit hat man auch hier 2 Optionen wie man diese zusätzliche Aktion einsetzen kann:

  •  gegen Abgabe von Einfluss-Punkten kann man eine der zwei Ort-Aktion ausführen
  •  oder eine (oben genannte) Exekutiv-Aktion ausführen
Die jungen Gallerie-BesitzerInnen stöhnen erneut auf und vergraben den Kopf tiefer in ihren Händen. "Werde ich verdrängt werden?" und "Was muss ich beachten, damit ich die mögliche Kicked-Out Aktion auch nutzen kann?" wandern zusätzlich auf die notwendige Fragen-Liste.

Das Ende von "The Gallerist" wird nach der Runde eingeläutet, in der 2 von 3 Spielmaterialien aufgebraucht worden sind - alle Besucher-Tickets, alle Besucher oder 2 Prominenten-Plättchen. Danach folgt noch eine komplette Runde an Spielzügen, in welcher Kicked-out Aktionen jedoch ignoriert werden. Es folgt die Endabrechnung, welche nicht ganz kurz, dafür aber sehr übersichtlich gestaltet ist und sich Schritt für Schritt abhandeln lässt. Die Meisterwerke werden von ihren Holzstaffeleinen genommen und verteilt, Ruhmesplättchen und Auftragskarten zahlen nun Geld aus, und sämtliche Gemälde sowie Einflusspunkte werden ebenfalls in Geld umgewandelt. Der reichste Gallerist hat am besten gegrübelt und gewinnt das Spiel.

Zum Spielgefühl und meinen Erfahrungen 

Sobald man verinnerlicht hat wie alle Spielmaterialen heißen ist der Spielaufbau keine große Hürde und schnell erledigt. Auch das Regelstudium erledigt sich flott und der Ersteindruck unserer Spielrunde war, dass eigentlich alles recht übersichtlich und machbar aussieht. Die ersten Züge gingen noch recht flott von der Hand, doch dann kamen die Ambitionen, flankiert durch Optimierwahnsinn und reichlich Analyse-Paralyse, und der Spielfluss kam zum Stillstand. Dazu kam, dass das Spielende, durch unser suboptimales Spiel, ebenfalls auf sich warten lies und so haben wir mit unserer ersten Partie (4 Spieler) 4 lange aber fazinierende Stunden verbracht.  
In den folgenden Partien konnte wir uns dann doch deutlich bessern und die Spieldauer auf 120-150 Miunten drücken.

"The Gallerist" bietet verschiedene Wege zum Ziel. Mal sammelt man rosa Besucher (Einfluss) und mal braune Besucher (Geld). In einer Partie ersteht man Ruhmplättchen, welche eine möglichst umfangreiche Gallerie belohnen und in der nächsten Partie kommt man zu Ruhm durch einen Schwerpunkt auf das Großziehen von Künstlertalenten. Der wichtigste Grund, weshalb keine Partie wie die vorangegange abläuft, ist aber vorallem der Einfluss der Mitspieler. Durch sie kann jeder vorgefasste Plan deutlich erschwert und eine flexible Vorangehensweise belohnt werden.

"The Gallerist" lässt sich auch gut zu zweit spielen und funktioniert dabei einwandfrei - bis auf ein kleines Problem: Das Spiel zu viert ist dann doch um vieles besser. Mehr Kicked-Out Aktionen und Unwegbarkeiten bringen einfach mehr Würze, Spass und Spannung auf den Tisch. 
 

Spieletester

08.08.2019

Fazit

Wie fühlt es sich nun an, BesitzerIn einer Kunstgallerie zu sein? Meine Antwort: Wie ein erfüllender Knochenjob. The Gallerist ist unterhaltsam und spannend, kompliziert und erschöpfend. Für mich ist es kein Spiel, welches ich back-to-back spielen kann, aber immer wieder spielen möchte. 
Der hohe Grad an indirekter Interaktion sorgt für einen spannend Spielverlauf und eine hohe Wiederspielbarkeit.
Wer auf schwergewichtige Optimierungs-Spiele steht und sowohl Zeit, als auch motivierte MitspielerInnen aufbringen kann, kommt an The Gallerist nur schwer vorbei.
Redaktionelle Wertung:

Plus

  • Ausstattung und Komponenten sind erstklassig
  • Thema kommt sehr gut rüber
  • Gameplay ist sehr vielschichtig
  • Hohe indirekte Interaktion und dadurch hohe Wiederspielbarkeit

Minus

  • schwergewichtig, nichts für Gelegenheitspieler
  • besonders lange Spieldauer während den ersten Partien
  • erfordert Investion, sowohl monetär als auch zeitlich

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 1 bis 4
Alter: ab 13 Jahren
Erscheinungsjahr: 2015
Autor: Vital Lacerda
Grafiker: Ian O´Toole
Zubehör:

1 Spielbrett
4 Galeristenfiguren
4 Kunstgalerien
4 Startspieler-Marker
4 Einfluss-Marker
32 Kunstwerk-Plättchen
16 Künstler-Plättchen
16 Signaturen-Plättchen
10 Künstler-Bonus-Plättchen
40 Besucher
1 Besucher-Beutel
40 Assistenten in Spielerfarben
3 Staffeleien
20 Ruhm-Plättchen
8 Ruhm-Marker
8 Prominenten-Plättchen
20 Werbe-Marker
60 Tickets
4 Kunsthändler-Karten
4 Kurator-Karten
20 Vertragskarten
Geld (1, 2, 5, 10, 50, 100)

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