Der Strom ist ausgefallen! Flächendeckend! Nein, es besteht keine Chance, dass die Stadt heute nochmal mit Strom versorgt wird... und auch nicht morgen... gründet einen Krisenstab und sorgt als Regierungsorganisationen dafür, dass die Versorgung der Bürger sichergestellt wird!
Neustart wurde als Planspiel konzipiert, wobei bis zu 15 Kursteilnehmer einen Blackout in ihrer Gemeinde simulieren sollen. Zeitgleich sollte es als Brettspiel fungieren. Letztere Version habe ich hier in der 2. Auflage getestet.
Verschiedene Rollen
Als Spieler übernehmen wir die Rollen der Feuerwehr, Polizei, Krankenwagen, Verwaltung und des Bauhofs. Wir müssen die Gemeinde "am Laufen" halten, bis es wieder Strom gibt. Dazu spielen wir 5-7 Runden, wobei jede Runde aus einer Tages und einer Nachtphase besteht. Für jede dieser Phasen haben wir 6 Minuten Zeit. Wir müssen miteinander diskutieren, wie wir die Vorräte verteilen, in welchen Stadtgebieten wir die Bürger informieren, wie wir angefallene Probleme (Feuer, Unfall, Supermarktplünderungen... - dargestellt durch anfangs verdeckte Problemmarker mit einem Wert von 1-8 (kleinstes bis größtes Problem)) angehen wollen, wie wir unsere Einsatzkräfte mit Kraftstoff versorgen und vieles mehr. Die Zeit ist hierbei meistens knapp und die Ressourcen noch knapper. Hier merkt man das Ursprungskonzept des Planspiels am meisten.
Wir werden von Problemen überrannt!
Spielmechanisch ziehen wir zu Beginn jeder Phase 2 Karten, welche die aktuellen Probleme aufführen. Anschließend verschieben alle Spieler ihre Fahrzeuge (was jeweils wertvollen Kraftstoff kostet) und führen Aktionen aus, welche Aktionspunkte kosten. Wichtig ist hierbei, dass mehrere Organisationseinheiten dieselben Aufgaben erledigen könn(t)en, jedoch nicht alle gleich gut. Auch die Feuerwehr oder Polizei kann Erste-Hilfe leisten, jedoch nicht so gut wie ein Sanitäter-Team, was bedeutet, dass sie mehr Aktionspunkte verbrauchen. Und von diesen haben wir jeweils zu Beginn nur 12! Gehen sie uns aus, müssen wir eine ganze Spielphase lang z.B. auf die Polizei verzichten, die in dieser Zeit wieder einige Aktionspunkte regeneriert.
Appell an die Bürger
Fernen ist es sinnvoll, "kooperative Bürger" zu "produzieren" (grüne Meeple), z.B. durch Aufklärungsarbeit etc. Diese unterstützen bei zukünftigen Aktionen und dienen als Gegenpol zu aggressiven, unkooperativen Bürgern (rote Meeple), welche durch nicht erledigte Aufgaben oder durch Nicht-Versorgung der einzelnen Stadtbezirke entstehen. Auch das Errichten eines Selbstversorgernetzes ist immens bedeutend, müssen wir so die Vorräte nicht mehr zu jedem einzelnen Bezirk manuell bringen - doch all das kostet wertvolle Aktionspunkte! Es bleibt eine ständige Abwägung, wie wir unsere begrenzten Ressourcen benutzen. Apropos Ressourcen: Hier brauchen wir vor allem "Versorgungsgüter" für die Bürger und "Treibstoff" für uns - beides Rohstoffe, welche wir durch die Aktionen "Sicherstellen" und "Suchen" finden können. Die Menge wird hierbei jeweils mit einem Würfel bestimmt... und die Aktionen kosten natürlich erneut wertvolle Aktionspunkte.
Brechen vier offene Aufstände aus (durch zu viele rote Meeple), verlieren wir das Spiel. Schaffen wir es, bis zur erneuten Stromversorgung durchzuhalten, gewinnen wir das Spiel und können über eine Punktetabelle überprüfen, wie gut wir abgeschnitten haben.
Individuelle Gestaltung
Die Gemeinden können mithilfe der Hexagon-Plättchen individuell und der eigenen Gemeinde entsprechend aufgebaut werden oder man entscheidet sich für eine der "vorgefertigten" Städten. Durch weitere Karten lassen sich reale Bedingungen der eigenen Gemeinde ebenfalls in das Spiel mit einbeziehen. Die einzelnen Tage haben jeweils mehrere Karten, von denen nur zwei pro Spieldurchgang ausgewählt werden, was für einen hohen Wiederspielwert sorgt.
Zudem gibt es bereits mehrere Erweiterungen: Für 10 € kann die 1. Auflage zur nun erweiterten 2. Auflage geupgraded werden. Es gibt ein Miniaturenset für 69€. Ferner gibt es eine "Pro-Version" für 250€. Hier enthalten sind z.B. Zoom-Meetings, eine Checkliste, was für den Ernstfall vorzubereiten wäre etc. Diese Pro-Variante richtet sich ganz klar an Rathäuser o.ä. die wirklich den Ernstfall spielerisch proben wollen und ist für den "Normalspieler" uninteressant.
Spieletester
Fazit
Wahnsinn! Neustart ist als Planspiel ist wirklich eine klare 10 von 10! Ich hab es zweimal im erweiterten Kollegenkreis gespielt, also Spieler, die im Brötchenjob Polizisten, Sanitäter und Feuerwehrangehörige sind... bereits in der 3. Runde (am Dienstag!) kam bei uns die Triage zum Einsatz und wir mussten zwei Unfälle "auf sich beruhen lassen", um die Gesamtversorgung der Stadt zu garantieren. Das sind Gänsehaus-Momente, die ich so selten in Spielen erlebe. Jede Runde war eine Diskussion, was der beste Konsens sei, welche Einheit welche Aufgabe übernimmt. Da gingen die Meinungen teilweise stark auseinander, und das, obwohl jeder von uns das gleiche Ziel hatte: Das bestmöglichste für "unsere" Gemeinde zu erreichen! Nochmal: Als Planspiel klare 10 von 10 Punkten!
Aber ich sollte Neustart ja auf Basis des Brettspiels testen, daher muss ich hier stark differenzieren (als "Brettspiel" hab ich es vor allem im Freundes und Familienkreis mit ~4 Spielern gespielt): Auch hier macht Neustart erstmal eine gute Figur. Die Symbole sind klar erkennbar, egal ob mit oder ohne Miniaturen, es ist sofort ersichtlich, was gerade auf dem Spielbrett passiert, wo die größten Probleme sind, was es als nächstes anzupacken gibt. Aber Neustart stolpert hier über einige Details: Die Versorgungsphase der Bürger zwischen den Tagen dauert unangenehm lang. "Wieviel Vorräte haben wir? Wohin werden diese geschickt? Welche Bezirke müssen selber klar kommen?" Das sind alles wichtige und gute Diskussionen, aber machen keinen Spaß. Die "Brotscheiben" dann von A nach B zu verschieben hemmt weiter den Spielfluss. Meine Spielrunden hatten jedes Mal das Gefühl, jetzt nur mechanisch Excel-Tabellen auszuwerten. Der eigentliche Spielspaß liegt klar auf den eigentlichen Tag- und Nachtphasen! Es fühlt sich außerdem komisch an, wenn die Polizei mit noch verbleibenden 6 Aktionspunkten zu einer Randale fährt, beim Problemmarker-Umdrehen dann aber feststellt, dass es sich um "riesige Randale" mit einem Wert von 7 handelt und die Polizei dann einfach tatenlos wieder abzieht? In der Realität gehe ich davon aus, dass das Adrenalin und das Pflichtbewusstsein die letzten Kräfte der eingesetzten Kräfte mobilisieren würde und sie die Lage noch irgendwie schaukeln könnten... Zu guter Letzt ist der Zufallsfaktor beim Suchen und Sicherstellen der Vorräte viel zu groß. Bei einem 6-seitigen Würfel ist der Mittelwert langfristig 3,5. Mit zu viel Pech und "genügend" 1er ist das Spiel nicht zu schaffen. Mit zu viel Glück und "zu vielen" 6er wird es hingegen anspruchslos.
Das Ganze mag dem hohen Anspruch und Authentizität geschuldet sein und ist im eigentlichen Planspiel super - aber für ein Brettspiel zu frustrierend umgesetzt.
Jetzt kommen aber die guten Nachrichten: All die bei uns aufgetretenen Probleme habe ich mit dem Autor Till Meyer in einem langen Dialog besprochen und es scheint, als würde es für die 3. Auflage zumindest optionale Regeln geben, welche meine Kritikpunkte oben weitestgehend ausräumen. Ich geh ferner davon aus, dass es auch hier wieder ein Upgrade-Kit geben wird, so dass Interessenten nicht erst auf eine 3. Auflage abwarten müssen. Es sind zudem schon weitere Teams angedacht, so sollen die bisherigen in späteren Auflagen mit einem "Cyber Campus" und den "THW" ergänzt werden.
Versteht mich daher nicht falsch: Neustart ist schon jetzt ein solides bis gutes Brettspiel. Mit ein paar Designänderungen kann es aber ein sehr gutes bis hervorragendes Brettspiel werden! Das Planspiel hat es ja bereits gezeigt, wie fantastisch das bitterernste Thema spielerisch umgesetzt werden kann.
Zum Abschluss noch ein wichtiger Rat: Spielt gemeinsam als Krisenstab! Macht nicht den Fehler, dass ein Spieler nur für die Feuerwehr, einer nur für die Polizei etc. zuständig ist... macht dann die Polizei eine Runde lang Pause, setzt der entsprechende Spieler sonst 6 Minuten (!) aus, in denen er nichts tun kann! Als Mitglied des Krisenstabs kann der Spieler dennoch weiter mitwirken
Es tut mir in der Seele weh, ich würde Neustart als Brettspiel wirklich gern mehr Punkte geben, aber aktuell sind wir ungefähr bei 6,5-7 Punkten... es ist aber so viel Potential vorhanden, dass ich mich schon sehr auf die 3. Auflage freue, die ich auf jeden Fall wieder spielen werde!
Plus
- quasi das perfekte Planspiel
- sehr spannende Runden mit hitzigen Diskussionen
- gute Übersicht auf dem Spielbrett
- Gemeinden lassen sich individuell "anlegen" und "bespielen"
Minus
- zu hohe Downtimes zwischen den Tagen
- (zu) hoher Zufallsfaktor bei den Vorräten
- Stellenweise unbefriedigende da bestrafende Ereignisse
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Details
15 Spielplan-Teile
1 Tableau "Depot"
5 Tableaus "Akteure"
20 Spielfiguren (Fahrzeuge)
80 braune Brotscheiben und 60 schwarze Kanister
15 braune Kisten und 15 schwarze Öltonnen
5 farbige Chips
etwa 200 weitere Marker
4 sechs-seitige Würfel (schwarz, braun, blau und weiß)
75 Spielfiguren (30 grün und 45 rot)
Ereigniskarten
Anleitung
optional in der Pro-Version (Preis 250€) "Überlebenshandbuch" mit Checkliste
optional mit Miniaturen-Set (69€) 150 Miniaturen (Häuser, Ruinen etc.)
Statistik
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