Rio de la Plata

Seltsam ist, wenn in einem Apfelstrudel keine Äpfel drinnen sind. Mit den Rosinen im Apfelstrudel ist das so eine Sache. Für mich gehören sie absolut rein, aber es gibt halt Menschen, die Rosinen absolut verweigern.
Seltsam ist auch, wenn ein Spiel „Rio de la Plata“ heißt und Wasser im ganzen Spiel nicht wirklich vorkommt. Sind wenigstens Fische mit dabei?

Buenos Aires wird spielerisch gegründet und entwickelt. Das ist der Bezug zum Rio, an dessen Ufer sich das ganze Geschehen abspielt. Nackt und blass liegt das leere Areal für die Bauaktivitäten im Zentrum des Spielplans. In jedem Spielzug darf ein Spieler bis zu 5 seiner 10 Arbeiter auf ihre aktuellen Arbeitsplätze setzen. Zwei Arbeiter auf einem Feld des Spielplans bauen ohne Materialien in der Arbeitsphase eine eigene Hütte. Man dokumentiert das durch ein Hüttenplättchen der eigenen Farbe in der Stadt und nimmt die beiden Arbeiter zurück. Die Baubehörde von Buenos Aires dürfte aber schon in der Gründerzeit recht restriktiv gewesen sein. Erste Hütten dürfen nur auf einem definierten Siedlungsstreifen gebaut werden. Weitere Arbeiter in der Stadt dürfen im weiteren Spielverlauf immer auf die 8 angrenzenden Felder zu einer eigenen Hütte oder einem eigenen Haus eingesetzt werden. Sowohl das Einsetzen der Arbeiter als auch ihre nachfolgenden Arbeitseinsätze erfolgen in Spielerreihenfolge. Besonders in den ersten Runden ist die Arbeit in Mine und Wald recht wichtig und einträglich, ein Arbeiter macht ein Holz oder einen Stein. Später dort gesetzte Arbeiter produzieren nur mehr zu Zweit einen Stein. Das erinnert ein wenig an Stone Age, auch dort ist es anfangs sehr wichtig, eines der Felder Ernährung, Vermehrung oder die Werkzeuge als Startspieler zu „bearbeiten“. Das gleiche Prinzip herrscht hier, durch Setzen von Arbeitern kann jedoch die Spielreihenfolge im Sinne des Spielers beeinflußt werden.

Aufbau steht also am Beginn im Vordergrund. Eine Hütte kann mit einem Arbeiter, einem Stein und einem Holz zum Haus aufgewertet werden (das Plättchen wird umgedreht). An ein Haus angrenzende Produktionsstätten (Steinmetz, Zimmermann) können durch Besetzen mit einem Arbeiter aktiviert werden. Dieser erzeugt aus einem Holz ganze drei, aus einem Stein ebenso drei. Man braucht aber ein Holz oder einen Stein dazu. Hat man kein Ausgangsmaterial, muss man eben zuerst eines in Mine oder Wald besorgen. Die Reihenfolge, in der die eingesetzten Arbeiter aktiviert werden, ist Spielersache. Produktionsketten lassen sich damit auch in der laufenden Runde knüpfen. Zusätzlich kann man Arbeiter, die nicht unbedingt aktiv werden müssen, an ihrer Arbeitsstelle belassen und in späteren Runden nutzen.

Auf weiteren Feldern auf dem Spielplan, die gleichzeitig von mehreren Spielern genutzt werden können, können zwei Arbeiter eine Silbermünze oder ein Arbeiter mit Holz oder Stein eine Handelsware erzeugen. Handelswaren braucht man, um höherwertige Bauwerke in der Stadt errichten zu können. Manche der Gebäude bringen dabei unmittelbar Siegpunkte und sind Vorbedingung für noch größere Gebäude, andere wie der Markt bringen Geld beim Verkauf von Waren und ermöglichen an dieser Stelle dann später die Umwandlung in eine Gesellschaft, die mehr Geld beim Verkauf bringt.

Kurze Zwischenwertung:
Jedes eigene Haus bringt am Ende 2 Siegpunkte. Für Produktionsstätten im Stadtteil, wo das Haus gebaut wurde, gibt es Abzüge und Bonuspunkte für die Anwesenheit der kleinen Gebäude Garten, Monument, Kirche und Kaserne. Jeweils 3 Münzen bringen ebenso einen Siegpunkt.

Geld bekommt man durch den Verkauf einer Ware auf einem an ein eigenes Haus angrenzenden und mit einem Arbeiter aktivierten Markt. Geld bekommt man auch durch die Nutzung des Felds Ackerbau mit zwei Arbeitern. Besonders viel Geld und auch Siegpunkte während des Spiels bekommt man durch Verschiffung von Waren und deren Lieferung nach Spanien. Ein Arbeiter kann bis zu 3 Waren auf das Schiff laden. Aber wir reden momentan von ungelegten Eiern. Es gibt noch kein Schiff!
Alle großen Bauwerke wie das Fort (10), die Kathedrale (11), der Palast (13) und eben auch das Schiff (6) müssen vor ihrer Nutzung gebaut werden. Die Zahl in Klammer gibt an, wie viele Arbeiter zum Bau benötigt werden. Gemeinsam ist damit die Devise. Jeder beigesteuerte Arbeiter bringt dabei sofort Punkte, die entsprechenden Ressourcen müssen sofort verfügbar sein und bezahlt werden. Die Arbeiter bleiben dort so lange blockiert, bis das entsprechende Bauwerk fertig ist. Je später man sich am Bau beteiligt, desto weniger Siegpunkte gibt es. Findet man keine helfenden Mitspielerhände, bleiben Arbeiter dort mitunter sehr lange blockiert.
Zurück zum Schiff. Die Lagerkapazität ist beschränkt (6 x Anzahl der Mitspieler), wenn das Boot voll ist, legt es ab und kommt 2 Runden später mit dem Erlös zurück. Dieser Erlös ist besonders hoch für Waren-Drillinge bestehend aus Holz-Stein-Handelsware. Es gibt dafür 6 Silber und 4 Siegpunkte.

Siegpunkte braucht man auch, um ein Berufsplättchen anwerben (=kaufen) zu dürfen. Die billigsten (Kanonier, General) kosten 5 Silber und man braucht mindestens 7 Siegpunkte, der Verteidiger kostet gleich viel aber verlangt 10 vorhandene Siegpunkte. Mit 25 Silber und 50 nötigen Siegpunkten ist der Gouverneur der teuerste Beruf. Er bringt 12 Siegpunkte am Ende und zusätzliche Bonuspunkte für Stadtteile mit vielen repräsentativen Gebäuden. Wer soll sich das leisten können und wollen?
Meister-Steinmetz oder Meister-Zimmermann bringen in jeder Runde gratis einen Stein oder ein Holz. Auch der Verteidiger macht Sinn. Er darf pro Runde eine Mauer am Spielfeldrand bauen.
Wozu das gut sein soll?
Als Abwehr gegen die Feinde natürlich.

Die Feinde kommen, man hat ein „Siedler von Catan - Städte und Ritter Deja-Vu“, mit fast jeder der 20 Runden näher. Manchmal sowohl die Einheimischen als auch die Piraten, manchmal nur die Einheimischen, manchmal nur die Piraten. Der Unterschied zwischen Piraten und Einheimischen ist, dass Piraten gegen Siedler bei einem Gleichstand an Kämpfern gewinnen. Das nennt sich Dominanz und auch die Verteidiger können dominant werden, wenn in ihrem Stadtteil eine Kaserne zu finden ist. Am Ende jeder Runde wird gewürfelt, ob nun die schwächeren Einheimischen oder die dominanten Piraten angreifen oder ob die Runde kampflos endet. Kommt es zum Scharmützel, spielt der Spieler am hintersten Platz der Spielreihenfolge den Angreifer und fällt mit definierter Anzahl lila Feindesscheiben von der Stadtgrenze her ein. Bereits gebaute Verteidigungsmauern können von den Feinden nicht überwunden werden. Der Angreifer konzentriert sich daher auf ungeschützte Stadtteile und verschont zusätzlich logischerweise seine eigenen Gebäude. Ein seltsamer Mechanismus, der einerseits allen Beteiligten Siegpunkte bringt (für vernichtete Gebäude dem Angreifer, für vernichtete Figuren allen), andererseits werden damit wieder Bauplätze in zuvor schon dicht verbauten Gebieten frei. Der Kampf ist ein sehr destruktives (und deswegen mächtiges) Element in dem sonst von Aufbau und Ressourcenmanagement dominierten Spiel. Diese Kampfphase ist durch die Zugmöglichkeiten der Angreifer und Verteidiger stark an abstrakte Strategiespiele angelehnt und fällt hier etwas aus dem Rahmen.
Auch die Spielzeit fällt aus dem Rahmen.
Die auf der Schachtel angegebenen 90 Minuten sind vielleicht im Idealfall bei 3 Hochgeschwindigkeitsspielern mit vielen Partien Erfahrung möglich. Sonst ist zu oft ein Spezialfall nachzulesen, eine Regelunklarheit zu klären oder schlicht und einfach das Spiel zu spielen. Alles zusammen dauert sehr lange und wir kamen zu viert nicht unter 4 Stunden

Kurze Zwischenwertung:
Weitere Siegpunkte bringen gekaufte Berufskarten. Manche unabhängig vom Endzustand der Stadt, andere belohnen die Anwesenheit von Kirche oder Monument. Straßen, man kann beispielsweise durch die Berufswahl „Straßenbauer“ gratis eine pro Runde bauen, bringen einen Bonuspunkt pro Haus, wenn das Zentrum des Bezirks mit dem Plaza Mayor verbunden ist.

Spieletester

28.04.2011

Fazit

So zerstreut und zerfleddert die Rezension wirken mag, sie versucht nur, sich dem Spiel auch in diesem Punkt anzunähern. Viele Mechanismen wurden hier von einem technisch versierten Koch zu einer Hauptspeise verkocht. Leider ist dieser Koch mit dem Umgang von Gewürzen nicht so vertraut und so liegt das Spiel doch schwer im Magen und verdaut sich nicht so leicht. Zu viele Köche verderben den Brei, heißt es, mit zu vielen Zutaten schafft das auch ein Koch. Damit will ich nicht sagen, dass Rio de la Plata nicht funktioniert, es macht halt einfach zu wenig Spaß. Es gibt sehr viele Details zu beachten, leider unterstützt die grafische Aufbereitung dabei nicht. Außerdem ist eine hohe Frusttoleranz nötig. Das gilt nicht nur für die Auswirkungen der Kampfhandlungen, sondern auch und vor allem dann, wenn man einfach nicht weiß, was man denn nun Sinnvolles tun kann.
Redaktionelle Wertung:

Plus

Minus

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 3 bis 5
Alter: ab 13 Jahren
Spieldauer: 180 Minuten
Preis: 35,00 Euro
Erscheinungsjahr: 2010
Genre: Strategie
Zubehör:

Spielplan, 50 Arbeiter-Holzchips (10 pro Farbe), 17 violette Chips und 1 blauer Chip (Feinde), 5 Punktemarker und 1 Rundenmarker, 60 Mauer-/Straßen-Hölzchen, 75 Ressourcenwürfel (15 blaue, 30 weiße, 30 braune), je 1 Palast-, Kathedralen-, Fort-,Hafen-Plättchen, 86 doppelseitige Gebäude-Plättchen, 12 Berufs-Plättchen, 5 Spielerübersichten (leider gibt es nur 2 pro Sprache), 40 Münzen, 2 Würfel, Spielanleitung (deutsch, italienisch, spanisch, französisch)

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