Europa 1945-2030

Hin und wieder greift der Spieler von Welt zu einer Box, dessen Thema und/oder Systembeschreibung anspricht... und ist sich dabei relativ sicher, dass dieses Spiel dann sehr lange sehr ungespielt bleiben wird. So hat meinereiner so ziemlich die komplette Axis & Allies-Serie mit dem sicheren Gefühl, Länge und Umfang schreckt das Publikum ab, ebenso bei sich herumstehen, wie die Brettspielvariante von Sid Meier's Civilization oder das FFG-Monumentalwerk Twilight Imperium.
In eine ähnliche Kategorie fällt auch Europa 1945-2030. Nur hier ist der Knackpunkt nicht die monumentale Spieldauer - die ist mit 120 Minuten doch relativ massentauglich - oder der Mechansimus - das Spiel ist von der Idee her eine Mischung aus Mehrheiten- und Verhandlungsspiel, und dafür ist die Zielgruppe wohl doch vorhanden. Nein, was mich lange davon abgehalten hat, dieses Spiel vorzuschlagen, ist das Thema: Europa 1945-2030 handelt von der Gründung und Ausweitung der Europäischen Union, und da fürchtete ich schlichtweg, dass ein launiger Spielertreff in einer politischen Diskussionsrunde endet.

Eher zufällig landete jetzt das Spiel aber doch auf dem Tisch, allerdings auch mit dem sicheren Wissen, dass meine Mitspieler dieselbe Meinung wie ich vertreten. Und so kann man jetzt endlich austesten, ob das System hält, was es verspricht.


Das Spiel:

Das Spiel geht durch vier Runden (=Zeitepochen). In jeder Runde werden in vor Rundenbeginn festgelegter Reihenfolge Wahlen in den demokratischen Staaten Europas abgehalten. Staaten wie der ehemalige Ostblock oder Francos Spanien steigen demnach erst in späteren Runden ein. Jeder Spieler übernimmt die Rolle einer in jedem Land vertretenen Europapartei, und es gilt, genug Stimmen zu sammeln, um die Nationalisten zu überflügeln und so das Land in die EU einzugliedern.

Jeder Spieler erhält zu Beginn der Runde eine durch die sogenannten Politikpunkte bestimmte Anzahl an Spielfiguren, stilechte Holzfiguren in Männlein- und Weibleinform. In der Reihenfolge der Politikpunkte verteilen die Spieler nun jeweils die Hälfte ihrer Figuren in Nicht-EU-Ländern. In einem zweiten Durchgang werden nun in der gleichen Reihenfolge die restlichen Figuren verteilt.

Wenn diese beiden Runden durchgespielt sind, werden in den entsprechenden Ländern die Wahlen abgehalten:
Hat ein Spieler allein die meisten Figuren in diesem Land UND beträgt die Anzahl seiner Figuren mindestens die Zahl, die der Stärke der Nationalisten entspricht, hat der Spieler diese Wahl alleine gewonnen. Das Land wird EU-Mitglied, der Spieler erhält einen Siegpunkt und die für das entsprechende Land angegebene Anzahl an Politikpunkten. Diese Politikpunkte bringen in der nächsten Runde mehr Spielfiguren und damit mehr Möglichkeiten, Wahlergebnisse zu beeinflussen. Außerdem bewegt der Spieler eine der an der Wahl beteiligten Figuren in ein beliebiges anderes Land.

Weitaus häufiger aber wird es vorkommen, dass die Spieler Koalitionen bilden müssen, um die Nationalisten zu besiegen. Hier tritt das Verhandlungselement des Spieles in Kraft: Bis zu drei Spieler können sich verbünden und ihre Figuren addieren. Ist eine solche Einigung erzielt, erhält jeder der beteiligten Spieler einen Siegpunkt, die Politikpunkte werden unter den Spielern aufgeteilt und jeder Spieler darf eine seiner Figuren auf ein beliebiges Land versetzen.

In den Runden 3 und 4 kommt ein weiteres Moment ins Spiel: Das Ende des Warschauer Paktes und der Zusammenbruch Jugoslawiens sorgen für Krisenherde und eventuell sogar für Kriege:
Vor Rundenbeginn werden mit zwei 10seitigen Würfeln Krisenherde bestimmt, die sich durch einen weiteren Würfelwurf zu Kriegen entwickeln können. Sind alle Krisenherde ermittelt, setzt jeder Spieler geheim eine beliebige Anzahl an Spielfiguren. Haben alle Spieler gewählt, werden die Zahlen aufgedeckt.

Je nach Anzahl der Krisenherde und Kriege muss eine bestimmte Zahl erreicht werden. Wird diese Zahl erreicht, wird der Spieler, der die meisten Figuren eingesetzt hat, mit Siegpunkten belohnt. Reicht die Anzahl nicht, muss jener Spieler Punkte abgeben, der die meisten Figuren zurückgehalten hat.

Das Spiel endet nach Runde vier. Der Spieler mit den meisten Punkten gewinnt.

Spieletester

30.04.2010

Fazit

Sehr lobenswert:
Das Spiel an und für sich schafft es, das Thema sehr neutral bis fast schon hintertückisch-satirisch zu behandeln. Zwar geht es für die Spieler prinzipiell darum, die EU zu errichten und als Friedensprojekt zu erweitern, tatsächlich aber agiert dann doch jeder Spieler so, dass er SEINE Interessen vertritt. Da wird auch schon mal eine Pro-EU-Koalition NICHT gebildet, um zu verhindern, dass Spieler Blau schon wieder 15 Politikpunkte einfährt. Dass das auch eine Regierungsbildung der Nationalisten nach sich zieht und das Land somit der EU fernbleibt, nimmt man dafür in Kauf.

Hier hat man also kein "Die EU ist ein Paradies, in dem sich alle lieb haben"-Propagandaspiel vor sich, auch wenn die Anleitung manchmal Phrasen einbaut, die diesen positiven Eindruck strapazieren: Slogans wie "Europa wird ein Vorbild für alle." oder "Besteht die EU nur auf dem Papier und ist im Ernstfall handlungsunfähig?" hinterlassen einen schalen Beigeschmack und muss man geistig streichen, wenn man nicht ständig den metaphorischen Zeigefinger vor sich sehen will. Als eine Mischung aus Mehrheiten- und Verhandlungsspiel ist Europa: 1945-2030 aber schlichtweg großartig.
Redaktionelle Wertung:

Plus

Minus

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 3 bis 6
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: 120 Minuten
Erscheinungsjahr: 1998
Genre: Strategie
Zubehör:

2 Spielpläne
38 blaue Puzzleteile in Form der Umrisse der Nationen
4 "historische" Abdeckteile
42 Länderkarten
120 Holzfiguren
28 nummerierte Spielsteine
99 Siegpunktplättchen
20 Spielsteine "Spannungsgebiet / Krieg"
1 Spielstein "Spielrunde"
2 zehnseitige Würfel
2 Spielhilfeblätter für einen schnellen Einstieg
1 Regelheft.

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