Um zu verhindern, dass durch eine unbedachte oder terroristische Intervention in der Hauptzeitlinie ein nicht bewältigbares Desaster über die Erde hereinbricht, gründet ein von allen Regierungen der Welt unterstütztes Konsortium die T.I.M.E Agency. Die für T.I.M.E (Tachyon Insertion in Major Events) tätigen Agenten sind Zeitreisende, denen es möglich ist, jeden gewünschten Zeitpunkt in Vergangenheit, Zukunft und in alternativen Realitäten zu erreichen, um vor Ort bedrohliche Eingriffe in die wichtigste Zeitlinie des Planeten zu unterbinden, ehe sie überhaupt geschehen können.
Herzlich willkommen in der Agency! Ihr erster Auftrag erwartet Sie! Prolog Wie schafft man es, die völlig neuartigen Mechaniken eines Spiels zu beschreiben? Wie schafft man es zudem, nichts von der Handlung preiszugeben, die auf die Spieler wartet? Wie schafft man es außerdem, das Hauptspielmaterial – die Kartendecks – nicht zu zeigen und dennoch einen klaren Überblick über die Spielkomponenten zu vermitteln? Wie schafft man all das?
Zur Verdeutlichung: In der Spielanleitung finden sich fett gedruckte Warnhinweise wie
„Auf keinen Fall solltet ihr bereits bei Spielaufbau irgendwelche Karten anschauen“ und
"Öffnet ein Deck erst dann, wenn ihr das Szenario zu spielen beginnt!". Die Kartendecks wiederum sind sorgsam von sogenannten Flash-Karten ummantelt, auf denen die Warnung
„Das Deck nicht vor Spielbeginn öffnen“ aufgedruckt ist. Und tatsächlich ist es wesentlich, sich das Hauptspielmaterial keinesfalls vor Spielbeginn anzusehen! Denn darin verpackt findet sich die komplette Story, alle Handlungsabläufe, alle Handlungsmöglichkeiten, alle Orte, alle Charaktere. Es ist sehr schwierig, das Regelheft zu erarbeiten, ohne sich dabei gleichzeitig auch die darin beschriebenen Kartentexte und -symbole ansehen zu können. Keine leicht bewältigbare Einstiegshürde!
Wurde die Handlung einmal durchgespielt und zu einem positiven Abschluss gebracht, macht es wenig Sinn, das Spiel nochmals zu spielen. So wäre es natürlich auch völlig kontraproduktiv, sich die Karten vor Spielbeginn anzusehen. Wie es ebenfalls sinnlos ist, die letzte Seite eines Buches zuerst zu lesen. Man wüsste im Voraus, wie die Geschichte endet.
T.I.M.E STORIES ist ein Rollenspiel. Und auch wieder nicht. T.I.M.E STORIES ist ein Spielbuch. Und auch wieder nicht. T.I.M.E STORIES ist ein Brettspiel. Und auch wieder nicht. T.I.M.E STORIES ist ein Kartenspiel. Und auch wieder nicht. Es ist all das und zugleich auch das Gegenteil von allem. Also. Wie fängt man es an, dieses Spiel zu beschreiben, ohne wesentliche Dinge preiszugeben? Lassen wir es auf einen Versuch ankommen.
Erstes Kapitel: Die Einsatzbesprechung Gut. Die Spielanleitung ist durchgelesen, man starrt auf das schneeweiße, leere Spielbrett und hat keine Ahnung, wie das Spiel nun beginnt. Regelheftkonform nimmt man nun die 125 entsprechend ihrer aufgedruckten Kartennummern aufsteigend vorsortierten Karten zur Hand, dreht die erste Karte um und liest deren Text laut vor. Man befindet sich in der Einsatzzentrale und nimmt an der Missions-Besprechung teil - und hat plötzlich nicht nur eine Ahnung davon, wie das Spiel beginnt, sondern wurde mit einem Male auch schon hinein gesogen in die Handlung. Der Text der allerersten aufgedeckten Karte verlangt danach, weitere Karten ins Spiel zu bringen, sie entweder ebenfalls aufzudecken oder verdeckt an einen bestimmten Platz des Spielplanes zu legen. Hat man nach dieser Team-Besprechung die Einsatzzentrale über Zeitkapseln verlassen und ist an seinem Missionsziel – einem von der Story fix vordefinierten Raum – angekommen, beginnen sich die Schleier endgültig zu lüften und die Handlung nimmt Fahrt auf.
Zweites Kapitel: Die Geschichte erzählt sich selbst Neben den "Charakter"-Karten finden sich noch Karten-Decks der Kategorien "Objekte", "Pläne" und "Orte". Die gewählten Charaktere – im vorliegenden Fall Insassen einer Nervenheilanstalt in Paris des Jahres 1921 – dienen als Wirte, in die sich die T.I.M.E-Agenten für eine befristete Zeitspanne transferieren, um mit ihnen bzw. durch sie unbemerkt vor Ort zu agieren. Die bedeutsamste Kategorie ist jene der Orts-Karten, die zumeist verdeckt ins Spiel gelangen und in einer Reihe zu fünf oder sechs Karten ausgelegt den Ort bzw. den Raum zeigen, an oder in dem sich die Spieler aktuell aufhalten. Jede dieser Karten kann „besucht“ werden. Begibt sich ein Agent zu einer dieser Karten, dreht er sie um und liest den auf deren Rückseite aufgedruckten Text. Daraus kann eine Interaktion mit einer sich an dieser Stelle des Ortes aufhaltenden Person entstehen oder es können Gegenstände untersucht werden, die sich in diesem Abschnitt befinden. In vielen Fällen wird der Spieler aufgefordert, eine Entscheidung zu treffen. Diese Entscheidung wirkt sich direkt auf den weiteren Verlauf der Handlung aus. Es werden weitere Karten gezogen, Ortswechsel durchgeführt, Gebäude-Pläne entdeckt, Gegenstände in das persönliche Inventar übernommen usw. All das kostet Zeit. Und Zeit ist der einzige wirklich kritische Faktor!
Drittes Kapitel: Die Zeit ist im Fluss Jede vom Agenten-Team gesetzte Handlung führt immer dazu, dass Zeit vergeht. Nun ist bekannt, dass Zeitreisen sehr energieaufwendige Unterfangen darstellen und deshalb hat das Team nur eine vordefinierte Zeitspanne zur Verfügung, in der das Missions-Ziel erreicht werden kann. Ist diese Zeitspanne verflogen, kehren die Agenten automatisch wieder in ihre Einsatzzentrale zurück. Eine nicht erfüllte Mission kann jedoch wieder aufgenommen werden, indem die Spieler an den ursprünglichen Einsatzort zurückkehren und ihre Arbeit nochmals aufs Neue beginnen. Diesmal allerdings können sie dabei auf ihre bereits im ersten Durchlauf gewonnenen Erfahrungen zurückgreifen und haben so die Möglichkeit, deutlich zielgerichteter vorzugehen. Einen Fehler macht man nur einmal – hat es im ersten Durchlauf nichts eingebracht, sich mit Person A zu unterhalten und dadurch sinnlos Zeit zu verschwenden, wird man dieser Person nun im zweiten Durchlauf einfach keine weitere Beachtung mehr schenken.
Viertes Kapitel: Das Ende der Mission Sogar wenn man aufmerksam genug ist und selbst die unbedeutendsten Hinweise aufnimmt, die sich sowohl in den Texten als auch den Grafiken der Karten verbergen, ist es sehr schwierig, die Mission zu einem positiven Abschluss zu bringen. Schafft man es, hängt die Leistungsbeurteilung der Einsatzzentrale davon ab, wie viele Durchläufe man benötigt hat, um das Missionsziel zu erreichen. Je weniger, desto besser - versteht sich von selbst.
Scheitert man zu oft an der gestellten Aufgabe, reagiert der Einsatzleiter dann doch recht heftig und entzieht eurer Gruppe den Auftrag! Ein anderes Agenten-Team wird in die Zeit geschickt, um eure unbeholfenen Versuche wieder zurechtzubiegen. Mal sehen, wann eurer Loser-Truppe die nächste Mission anvertraut wird...
Epilog T.I.M.E STORIES ähnelt in vielerlei Hinsicht dem SF-Kinofilm „Edge of Tomorrow“, der mit Tom Cruise und Emily Blunt in den Hauptrollen im Jahr 2014 in die Kinos kam und seinem Slogan „
Live. Die. Repeat.“ alle Ehre machte. Die Helden sind in diesem Film im verzweifelten Kampf gegen außerirdische Aggressoren zu einer ununterbrochenen Wiederholung des stets gleich ablaufenden Handlungsstranges gezwungen, haben dabei jedoch die Möglichkeit, einzelne „Kampf-Level“ zu wiederholen und ihre bisher gesammelten Erfahrungen darin einzubringen. Und so entwickelt sich die Handlung dann doch langsam aber sicher zugunsten der Protagonisten. Ganz ähnlich verhält es sich bei T.I.M.E STORIES. Es fühlt sich an, als würde man an den Steuerkonsolen eines Computerspieles sitzen und den aktuellen Spielstand hin und wieder mal zwischenspeichern. Und dann ist man mitunter eben doch zu einem Restart gezwungen. Es verwundert nicht, dass der Autor/Designer der IT-Branche entstammt und im Brotberuf als leitender Spieleentwickler des französischen Software-Spielegiganten Ubisoft tätig ist.
Im Brettspiel-Sektor wurde ein ähnliches Prinzip von Handlungs- und Ereigniskarten in den letzten Jahren bereits eingesetzt bei
Robinson Crusoe - Abenteuer auf der verfluchten Insel und vor allem bei
Naufragos: Die Schiffbrüchigen. In beiden Fällen offerieren diese Karten jedoch nur unterstützende Fähigkeiten und Effekte, während sie bei T.I.M.E STORIES als einziges Spielelement den kompletten Handlungsbogen tragen.
Auf das von T.I.M.E STORIES angebotene Erlebnis muss man sich nicht nur einlassen wollen – man muss es auch können! Bloßes Bemühen wird dazu nicht ausreichen. Die Qualität des Spieles steht und fällt mit der Bereitschaft aller Mitspieler, in die Story einzutauchen, mit ihr mitzugehen und von ihr getragen zu werden. Die Altersangabe „Ab 12 Jahren“ passt dabei weder zur Handlung noch zu manchen Illustrationen. Das T.I.M.E STORIES-Konzept wendet sich eindeutig an ein erwachsenes und zahlungskräftiges Publikum.
T.I.M.E STORIES ist genial designt, stellt haptisch, optisch und grafisch den High-End-Level im Brettspiel-Sektor dar und wartet mit völlig neuartigen Mechanismen auf. Dennoch stellt sich die Frage, ob das Konzept aufgehen kann. Die Anschaffungskosten des Basisspiels liegen bei rund 40 EUR und das ist ein durchaus stolzer Preis für nur eine einzige darin enthaltene Story, die noch dazu nur ein einziges Mal gespielt werden kann. Weitere Geschichten, die um jeweils 22 EUR zugekauft werden können, sollen im Vierteljahres-Rhythmus erscheinen.
Wer sich die T.I.M.E STORIES-Reihe leisten kann (und mag), wer gerne Bücher liest und wer kooperative und hochkommunikative Spiele mag, darf zugreifen. Brettspiel-Snobs, die auf der Suche sind nach ungewöhnlichen Sammlerstücken, dürfen an T.I.M.E STORIES keinesfalls vorbeigehen. Wer möchte nicht gerne einen Jaguar fahren, obwohl das Budget eigentlich nur für einen Kleinwagen reicht?
Der Festplattenspeicher Kann eine Partie aus Zeitmangel oder anderen Gründen nicht zu Ende gespielt werden, bietet der Schachteleinsatz die Möglichkeit, den aktuellen Spielstand quasi abzuspeichern. Dazu gibt es im Regelheft auch eine illustrierte Beschreibung. High-End-Design vom Feinsten!
Nachsatz in eigener Sache Es liegt in der Natur der Sache, dass ich dieses Spiel nur ein einziges Mal im „Echtbetrieb“ durchlaufen lassen konnte und mich in diesem Fall auf die Mithilfe eines versierten und an Spielen dieses Genres interessierten Mitstreiters verlassen durfte. "
Danke, Christian!". Es war jedenfalls eine Wahnsinns-Erfahrung im positiven Sinne - und das obwohl wir die Mission nicht erfüllen konnten! (Auch in einem zweiten Schnelldurchlauf ist uns dies nicht gelungen. Beide Male haben wir vor demselben verschlossenen Tor aufgegeben, obwohl des Rätsels Lösung direkt vor unserer Nase lag! Wir sahen leider den Wald vor lauter Bäumen nicht, wie man so schön sagt.)
Wichtige Anmerkung zur Spielbarkeit In den allerersten ausgelieferten deutschen Spieleschachteln ist die Karte mit der Kartennummer „110“ nicht vollständig. Die Spieler werden vom Text dieser Karte vor eine Ja/Nein-Entscheidung gestellt, allerdings fehlen dann die entsprechenden Wahlmöglichkeiten bzw. die sich daraus ableitenden Konsequenzen. Auf der Homepage von Asmodee wird ein Download des kompletten Kartentextes angeboten (siehe auch nachstehenden Web-Link).