Die letzten Tage von Atlantis

… waren sicher weniger vielfarbig und vielfältig als dieses Spiel, das dieses alle paar Jahre mal wieder auftauchende Thema aufgreift. Der große, bunte Spielplan und das reichhaltige, nicht überbordend üppige Spielmaterial machen direkt Lust, Atlantis (nicht) untergehen zu lassen.

Die Regel liest sich flüssig, ist nicht allzu lang und offenbart ihre Tücken erst während des Spiels. Der Ablauf ist prinzipiell recht übersichtlich und kann hier gerne im Zeitraffer wiedergegeben werden. In jeder der insgesamt wenigen Spielrunden bieten die Spieler zunächst um die Mehrheit im Senat, einmalig, gleichzeitig und geheim. Geboten wird mit Holzmarkern, die nicht nur hier als Einflussmarker, sondern später auch als Flüchtlinge dienen, die es zu retten gilt; erstes, erfreuliches Spieldilemma. Je nach Gebot wählt jeder Spieler einen der Senatoren, die unterschiedliche Fähigkeiten haben, mehr oder weniger nützlich in dieser oder jener Situation. Erstes, unerfreuliches Design-Dilemma. Diese Fähigkeiten sind nirgendwo piktografisch dargestellt, Platz dafür wäre auf dem (zu) bunten Spielplan reichlich vorhanden gewesen, oder auf den Senatorenplättchen selbst. Die Zusammenfassung auf den kleinen Übersichtskärtchen ist Augenpulver. Ewiges Blättern in der Regel, herumreichen, „Was konnte dieser denn noch mal, und der da …?“ Würde sich die Blätterei auf die Senatoren beschränken, wäre das noch so gerade tragbar. Da sind aber auch die Politikkarten, deren Piktografie sich nach einiger Zeit erschließt, immerhin, aber bis dahin muss auch erstmal oft und viel geblättert werden. Die Spezialkarten wiederum sind genau so hübsch und handlich wie alle anderen auch, aber deren marginale Piktografie ist unzureichend, also heißt es weiter „blättern, blättern, herumreichen“. Das setzt sich mit den Ereigniskarten fort, allerdings wird da in jeder Runde nur eine aufgedeckt und später abgehandelt, das geht. Das zweite unerfreuliche Design-Dilemma besteht darin, dass in der Regel manches versteckt ist oder nicht ganz an dem Platz, wo es hingehört, die Struktur ist nicht optimal, um es wohlwollend auszudrücken.

Es folgt die wichtigste Phase, die Auktions- oder Politikphase, wie ich sie lieber und besser nenne. Damit zum zweiten erfreulichen Spieldilemma. Alle Spieler legen verdeckt fünf ihrer Politikkarten vor sich aus und decken diese dann gleichzeitig auf. Geheim oder offen - das richtet sich nach der Ereigniskarte - wird um das Recht geboten seine eigene Politikkarte ausspielen, d. h., nutzen zu dürfen. Das geschieht in Reihenfolge der ausgewählten Karten von links nach rechts in insgesamt fünf Auktionen, logisch. Mit diesen Karten werden Flüchtlinge auf die Schiffe gesetzt, Schiffe bewegt, Spezialkarten gezogen und manches mehr. Schon in dieser Phase gibt es Siegpunkte, wenn Schiffe das rettende Ufer erreichen, das geht in der Regel zunächst völlig unter (die Schiffe aber nicht, zum Glück). Die Schiffe sind Pappplättchen, die mehr oder weniger viel Platz für Flüchtlinge bieten, darunter auch neutrale, die Platz beanspruchen und die eigenen Leute verdrängen können. Als wenn es nicht schon reichte, dass sich die Spieler um die freien Plätze balgen. Auch hier dasselbe (schöne) Problem wie vorher: Die Einflussmarker, mit denen man bietet, und die bis zum Ende der Runde liegen bleiben, sind auch gleichzeitig die eigenen Flüchtlinge, die es zu retten gibt. Je nach Spieleranzahl können nur die zwei oder drei Spieler mit den entsprechend höchsten Geboten ihre Karten auch tatsächlich ausführen oder u. U. sogar die des Nachbarn. Gleichstände werden durch die Senatsmehrheit entschieden, eine Hand greift in die andere. Diese Politikrunde, ich bleibe bei diesem Namen, ist spannend und unterhaltsam und sehr pfiffig – leider nur zu häufig unterbrochen durch dauerndes Blättern.

In der folgenden Untergangsphase gibt es Punkte für Mehrheiten im Senat und am rettenden Ufer („Neues Land“ genannt) und die Schiffe bewegen sich „automatisch“. Bei Landung gibt es wieder Siegpunkte, die Ereigniskarte wird abgehandelt, eine neue für die nächste Runde aufgedeckt, alle Spieler nehmen alle ihre Marker, Karten usw. zurück, Verwaltung eben.
Nach einem elend langen ersten Spiel (trotz guter Vorbereitung hieß es blättern, blättern, blättern) waren wir uns alle einig – „eigentlich“ ganz gut, aber so, nein danke! Erste Partien einigermaßen anspruchsvoller Spiele dauern immer länger als angegeben, oft auch spätere … aber weit mehr als doppelt so lange, das muss nicht sein, zumal für diese gewaltige Dauer dann doch nicht das nötige Potential vorhanden ist. Vor allem, weil grob die Hälfte dieser Zeit (nur leicht übertrieben) mit Nachlesen in der Regel und Herumreichen derselben verging (trotz vorab aus der Regel gescannter und ausgedruckter, zu unhandlicher Kartenübersichten).
Und immer diese völlig daneben liegenden Altersangaben … lassen wir das.
Die letzten Tage von Atlantis bietet eine „eigentlich“ spannende Kombination aus Mehrheits- und Auktions- und damit auch Bluffelementen, mit cleveren Details in richtigem Maße, auf die ich hier nicht näher eingehen kann und will. Oder … na gut, ein Beispiel: Die Ereigniskarten steuern u. a. das Spielende, das eintritt, sobald die drei Untergangssäulen abgeräumt sind, und es gibt nicht viele Ereigniskarten. Die Schiffe ändern sich, werden aufgewertet, und die Spezialkarten bringen Würze und manche Überraschung wie beispielsweise das Verfolgungsschiff, mit dem man eigene Leute auch auf Schiffe setzen kann, die schon unterwegs sind.

Schade, sollte ich Atlantis einfach so untergehen lassen? Nein, das Spiel „hat was“, keine Frage, also frisch ans Werk. Meine berühmte(n) Kurzspielregel(n) verfasst, aha, das sieht doch ganz gut aus. Irgendwie riecht’s hier auf einmal so komisch … das ist das Eigenlob, das stinkt. Zum Glück überträgt das Internet (noch) keine Gerüche. Kartenübersichten erstellt, klein und handlich, im wesentlichen nur für Senatoren und Spezialkarten nötig, aber mit der eigenen Übersicht für jeden Spieler auch über die Politikkarten entfällt das lästige Herumreichen der Regel, bis man diese Karten „drauf“ hat. Eine Wertungsübersicht ohne die etwas verwirrende Nummerierung der viel zu kleinen Übersichtskarte des Spiels vervollständigt die relativ einfachen Mittel, um aus einer lahmen Ente oder einem lecken Schiff, um beim Thema zu bleiben, eine flott dahingleitende Angelegenheit zu machen. Worum geht es überhaupt? Um Siegpunkte, die gehen nie unter.

Spieletester

28.06.2015

Fazit

Die letzten Tage von Atlantis werden sicher bei manchen, die dieses Spiel gekauft haben, das erste und letzte Mal gespielt worden sein. Das ist bedauerlich, denn es ist ein schönes und spannendes Spiel, schlecht präsentiert. Der deutsche Lizenznehmer hatte leider nicht die vertraglichen Möglichkeiten, die Design-Dilemmas zu korrigieren, ein, zwei Übersetzungsfehler besserten die Lage auch nicht. Aber erfreulicherweise und stets im Dienste der Kunden ist man sehr bemüht: Meine Kurzspielregel und Errata/Klarstellungen sind schon oder werden in Kürze dort auf der Webseite bereit stehen, Kartenübersichten möglicherweise auch oder an anderer Stelle im Internet. Wer sich etwas Mühe geben mag, wird damit dieses Spiel sicher nicht zum letzten Mal gespielt haben, das sich ganz grob als anspruchsvolles Familienspiel einordnen lässt, für spieltechnisch allerdings gehobene Familien, das muss ich dazu sagen. Anders ausgedrückt: Auch verwöhnte Vielspieler, die nicht immer nur die absoluten Hirnverzwirner spielen müssen, sollten Atlantis nicht untergehen lassen!
Redaktionelle Wertung:

Plus

Minus

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 3 bis 5
Alter: ab 10 Jahren
Spieldauer: 90 Minuten
Preis: 39,00 Euro
Erscheinungsjahr: 2013
Genre: Taktik
Zubehör:

1 Spielbrett, 1 Spielbretterweiterung, 5 Sichtschirme, 10 Spieler-Marker, 3 Untergangsmarker, 100 Holzwürfel, 10 graue Holzwürfel, 5 Schiffsplättchen, 7 Senatorenplättchen, 18 Bonus-SP-Marker, 5 SP-Marker, 120 Karten, 5 Übersichtskarten

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