Euphoria

„Eine perfekte dystopische Gesellschaft erschaffen“ lautet der Untertitel. Keine Bange, ich hab‘ das Googlen für euch schon übernommen. Die Dystopie ist die Gegenbewegung zur Utopie, also eine Gesellschaft, die sich zum Schlechten degeneriert. Sehr interessanter Rahmen für ein Workerplacement-Spiel.

Mit dem Wissen wächst der Zweifel

Ziel unseres Schaffens ist die Ausweitung unseres Einflusses in Form von Autorität (Sterne) in der Welt um Euphoria. Dabei helfen uns die eigenen Arbeiter. Aber Vorsicht, unsere Gehilfen sollten nicht im Kollektiv ihrer Wissbegierde nachgehen dürfen, sonst stellen sie wohl möglich fest, in was für einer Welt sie leben und wandern ab.

Eigentlich alle möglichen Aktionen werden mit unseren Arbeitern ausgeführt. Sie werden in Form von Würfeln dargestellt, die Augenzahl entspricht dabei ihrem aktuellen Wissenswert. Die Arbeiter dürfen auf so ziemlich allen Feldern für verschiedenste Effekte eingesetzt werden; das Setzen eines Würfels ist ein kompletter Spielzug. Die Rücknahme eines oder mehrerer Würfel ist die einzige andere Möglichkeit, seine Runde zu nutzen. Bei jeder Rücknahme vom Feld (egal ob selbst initiiert oder weil wir von einem anderen Spieler auf einem Spielfeld verdrängt wurden) werden die betroffenen Würfel direkt neu gewürfelt.
Zum Spielstart hat man zwei Arbeitskräfte zur Verfügung, kann aber im Verlauf des Spiels weitere Arbeiter ausbilden. Die Gefahr eines großen Trupps liegt in ihrem Wissenswert. Sollte der Gesamtwert der verfügbaren Arbeiter, also der nicht auf dem Spielplan platzierten Würfel, zu irgendeinem Zeitpunkt zu hoch sein, desertiert der Arbeiter mit der größten Zahl (dem größtem Wissen) und wandert zurück in den eigenen Vorrat. Für diese Wissensprüfung muss der Wissenstand der eigenen Leute (Wissens-Leiste) immer hinzu addiert werden und darf zusammen mit den Würfeln nie 16 oder mehr betragen. In einem Satz: Wir sind an Manpower interessiert, die keine Fragen stellt!

Loyalität ist eine zeitweilige Absichtserklärung

Das Spielbrett ist in vier unterschiedliche Fraktionsbereiche aufgeteilt: Euphoria, Subterra, Wastelands und Icarus. Um die Hauptmöglichkeiten bei Euphoria zu erläutern, reicht die Betrachtung lediglich einer Fraktion. Die übrigen unterscheiden sich im Wesentlichen nur in der Waren- bzw. Ressourcenart.
Pro Fraktion haben wir einen Artefaktmarkt, zwei konstruierbare Märkte, einen Warenbereich, einen Tunnel zum benachbarten Fraktionsgebiet und ein sternförmiges Gebiet, das Platz für Autoritätssteine bietet. Icarus nimmt noch eine kleine Sonderstellung ein: Man kann dort keine Märkte konstruieren. Dafür gibt es schon von Anfang an drei nutzbare Märkte, die in jedem Spiel die gleichen sind. Und Icarus hat als einzige Fraktion keinen Tunnel - macht Sinn als Wolkenfraktion!

Neben den Wissens- und Stimmungsleisten, die vor allem bei der Rücknahmemechanik von Würfeln relevant werden, gibt es drei echte Werkstoffgruppen. Die Werkstoffe teilen sich in vier Waren, drei Ressourcen und sechs verschiedene Artefakte der alten Welt auf. Die Waren werden für alltägliche Vorgänge benutzt: Anwerben neuer Rekruten, Ernährung der Arbeiter oder beispielsweise den Tunnelbau. Beim Tunnelvortrieb fallen die drei Ressourcen ab, die wiederum zum Ausbau der Märkte verwendet werden können. Die Artefakte, Karten, die wir verdeckt ziehen, können meist zur Nutzung der Marktfelder gebraucht werden, haben aber auch noch ein paar speziellere Anwendungsgebiete.

Eine wichtige Komponente des Spiels habe ich bis dato völlig außer Acht gelassen: die Rekruten. Neben ihrer eindeutigen Fraktionszugehörigkeit haben alle 48 Rekruten einmalige Spezialfähigkeiten, die zu verschiedenen Phasen der Spielrunden zum Tragen kommen können. Zu Beginn der Partie wählt man zwei von vier gezogenen Rekrutenkarten, aber nur eine der beiden wird offen ausgelegt, die andere wartet auf ihren Einsatz im späteren Spielverlauf. Die Karten bieten deutliche Vorteile für eigene Arbeiter, sollten sie Operation, bei der Fraktion durchführen, der der Rekrut angehört. Im fortgeschrittenen Spielverlauf erhalten wir so beispielsweise eine zusätzliche Ware, wann immer ein Arbeitswürfel auf den Warenbereich gestellt wird oder gleich zwei anstatt eines Werkstoffes, wenn wir den Tunnel ausbauen. Somit ist die Spielweise stark mit der Wahl des Startrekruten verwoben, wenn wir mit wenigen Spielrunden möglichst viele Werkstoffe sammeln wollen.

Autorität tötet nur, was sich töten lässt

Aber wozu der ganze Aufwand? Wie Anfangs erwähnt wollen wir unsere Position durch die Inszenierung unserer Autorität untermauern. Dabei helfen vor allem das Auftreten an den Artefakt- oder den konstruierbaren Märkten. Sollte man beim Bau eines Marktes direkt mitgewirkt haben, darf man nach Fertigstellung einen seiner Autoritätsmarker platzieren. Fortan kann jeder die aufgedeckten Marktfeldkosten bezahlen, um einen weiteren Marker auf das angrenzende Sternenfeld zu legen. Hat man versäumt sich am Bau zu beteiligen, gelten einmalige Mali für den folgenden Spielverlauf, zum Beispiel die Abgabe von Waren bei einer bestimmten Augenzahl oder andere beeinträchtigende Effekte.
Die Artefaktmärkte erlauben das Platzieren eines Autoritätsmarkers auf einem konstruierten Markt, bei dem man zuvor nicht mitgebaut hat oder eben auf dem Sternenfeld der zugehörigen Fraktion. Somit kann man sagen: Waren sind meist Mittel zum Zweck, führen aber selten auf direktem Weg zu Autoritätsgewinnen. Ressourcen sind beim Ausbau der Märkte relevant (ein Stern pro Markt). Die Artefakte sind dagegen vielseitig zum Erlangen von Autorität einsetzbar.

Das Spiel wird sofort beendet, wenn ein Spieler seinen zehnten Stern platziert. Er gewinnt den Wettstreit um den größten Machtgewinn, ohne dabei sein Gefolge aus der Dystopie entgleiten zu lassen.

Bizarres Kulturgefüge, aber ausgezeichnetes Material

Wie gut, dass Euphoria in der Wertigkeit seines Spielmaterials völlig freiwillig aus seinem Setting ausbricht. Alle Spielsteine sind aus Holz. Sowohl jede Ware als auch Ressource hat eine eigene Geometrie und muss nicht nur anhand von Farben unterschieden werden. Der Spielplan ist sehr gut gegliedert und hat ein ausgezeichnetes Layout, das die Thematik auch hier super weiter trägt. Auch wenn ich Anlaufschwierigkeiten mit dem Verständnis des Spiels hatte, ist das nicht der Fehler der Anleitung. Auch hier stimmt alles! Dazu kommt das Ganze in einem ausreichend großen Karton.

Spieletester

09.12.2014

Fazit

Das Spiel überraschte mich in vielerlei Hinsicht. Zunächst hat es doch recht lang gebraucht, bis die ganzen Möglichkeiten und Zusammenhänge verstanden waren. Die Startschwierigkeiten einmal überwunden wurde das Spiel dann sehr schnell sehr schnell! Es ist ein Workerplacement-Titel, bei dem ich pro Zug im Regelfall nur einen Würfel setzen kann oder eben die Würfel zurücknehmen muss. Zwar verfolgt man (zumindest ich) eine übergeordnete Marschroute, muss sich aber in seinem Zug kurzfristig für die gerade beste Platzierung des eigenen Würfels entscheiden. Trotz dieser vielen kleineren Entscheidungen vergeht der einzelne Zug jedes Spielers in Sekundenbruchteilen, ohne das Euphoria die strategische Tiefe vermissen lässt - beeindruckend! Echter einziger Dorn im Auge sind die so wichtigen Rekruten. Zunächst sind ihre Fähigkeiten sehr breit gefächert und in ihrer Wertigkeit für meinen Geschmack zu unausgeglichen. Das zweite Problem bildet die Wahl des Startfraktionsrekruten, die geheim zu Spielbeginn getroffen wird. Spieler, die die gleiche Fraktion gewählt haben, unterstützen sich, wenn auch ungewollt, deutlich im weiteren Spielverlauf. Die unfreiwilligen Synergien, die sich aus dieser zufälligen Startwahl ergeben, können von Fraktionseinzelkämpfern nicht gehalten werden. Trotzdem ist Euphoria ein erstklassiges Strategiespiel, das vor allem durch den bereits angesprochenen schnellen Spielverlauf mit gleichbleibender taktischer Tiefe einmalig wird. Wir haben in den Testrunden (meist zu dritt) die angegebene Spielzeit problemlos auf ihre Hälfte unterboten. Meistens ist ein Spiel, bei dem immerzu gewürfelt werden muss, an einen hohen Glücksfaktor gekoppelt. Das ist hier ganz und gar nicht der Fall. Die Augenzahl des Wurfs bestimmt zunächst nichts Konkretes. Erst die eigene Verwendung des Würfels bestimmt den Ertrag - top! Auch die Breite der ausgeglichenen Spielbarkeit von 2-6 Spielern ist ein echter Pluspunkt. Für mich rückt Euphoria überraschend in meine Top Ten der Strategiespiele, trotz der Rekrutenproblematik!
Redaktionelle Wertung:

Plus

Minus

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 2 bis 6
Alter: ab 13 Jahren
Spieldauer: 60 Minuten
Preis: 50,00 Euro
Erscheinungsjahr: 2013
Verlag: Morning
Grafiker: Vladimir Krist
Genre: Strategie
Zubehör:

1 Spielplan 48 rekrutenkarten 36 Artefaktkarten 6 Karten ehtisches Dilemma/spielhilfen 24 Spezialwürfel ( repräsentieren je 4 Arbeiter in den 6 Spielerfarben) 6 Stimmungs-Steine (Herzform) 6 Wissens-Steine (Kopfform) 9 Lehm-Spielsteine (braun) 9 Gold-Spielsteine (gelb) 9 Stein-Spielsteine (grau) 12 Wolken-Spielsteine (grün) 12 Wasser-Spielsteine (blau) 12 Orangen-Spielsteine (orange) 12 Blitz-Spielsteine (gelb) 4 Fortschritts-Spielsteine (rosa) 3 Bergarbeiter-Spielsteine (rosa) 60 Autoritäts-Steine (je 10 in den 6 Spielerfarben) 16 Marker „gesperrtes Gebiet“ 18 quadratische Marktplättchen 6 Multiplizierungs-Tableaus 8 runde Loyalitäts-Bonus-Marker 3 Marker „Aktionsfeld gesperrt“ 1 Regelheft (Deutsch) 1 Spielhilfe

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