Merchant of Venus

Die Kommunikations-Konsole deines kleinen Frachtschiffes fiept aufgeregt und macht dich auf eine soeben einlangende Nachrichten-Übertragung aufmerksam: --- "Galaxienhaufen 5632. Wiederaufbau der kriegszerrütteten Sektoren hat begonnen. Verbleib friedlicher Zivilisationen unbekannt. Erbitten Hilfe bei der Einrichtung von Handelsrouten zwischen isolierten Kulturen. Galaxienhaufen 5632 ist befriedet und bereit für den Handel." --- Sofort bist du hellwach! Abwechselnd gehen dir folgende Gedanken durch den Kopf: Profit. Profit. Profit. Profit. (Gut, ist zwar nur einer, der aber dafür sehr ausgeprägt). Du kippst noch rasch den Kaffeerest runter, den du noch nicht in aufgeregter Vorfreude verschüttet hast (obwohl du wie gesagt ohnehin schon hellwach bist - aber man weiß ja nie!), wirfst den zerknüllten Pappbecher in eine der vielen ungenügend ausgeleuchteten Ecken des Cockpits und lässt die rostbedrohten Triebwerke deines Frachters aufheulen! Der Zielcomputer ist schnell gefüttert und als einer von bis zu vier Händlern brichst du auf, um wohlhabende Welten zu erforschen und fabrikneue Handelswaren ebenso wie zahlungsfähige Zivilisationen zu entdecken.
Merchant of Venus ist ein wahrer Klassiker des Brettspiels. Von Avalon Hill im Jahr 1988 auf den Markt gebracht, waren dessen Design und Mechanik absolut bahnbrechend. Das Spiel, in dem es fremde Planetenwelten zu erkunden und mit den dort entdeckten Zivilisationen friedlich Handel zu treiben galt, war rasch vergriffen. Ehe es zu einer englischen Neuauflage kam, sollten fast 25 Jahre vergehen. Im Jahr 2014 erobert nun zu guter Letzt Merchant of Venus auch in einer deutschsprachigen Version die Spieltische der Community.

In eigener Sache
Die Spielschachtel beinhaltet zwei voneinander unabhängige Spiele! Neben dem im Vergleich zum Original nur wenig aufgemotzten klassischen Spiel wird unter dem Titel Standardspiel eine völlig neu entwickelte Version angeboten, die zwar auf den Grundmechanismen des Vorläufers aufbaut, jedoch in vielerlei Hinsicht davon abweicht. Dieses interessante Konzept und der Umstand, dass das gewissenhafte Bespielen beider Varianten sehr zeitaufwändig ist, haben uns - Gerhard und Franz - dazu bewogen die folgende(n) Besprechung(en) brüderlich zu teilen.

Das Spielmaterial
Ein riesengroßes, toll illustriertes doppelseitiges Spielbrett, 120 Karten, 500 Marker aus hochwertigem Karton, Raumschiffcockpits, coole Plastikraumschiffe, das alles wunderbar bunt und hoch funktionell. Noch Fragen? Besser geht’s (fast) nicht! Gut, ein paar kleine Kritikpunkte kann man durchaus festmachen: Die Cockpitblätter sind etwas zu dünn und die Schrift auf den Karten etwas zu klein geraten. Und wenn wir schon dabei sind, darf auch wieder mal der fehlende Schachteleinsatz bemängelt werden. Für große Abzüge in der Haltungsnote reicht das jedoch keinesfalls aus. Spielmaterial vom Feinsten – sowohl qualitativ als auch quantitativ. Auch die übersichtlich und klar gestalteten Regelhefte sind über jeden Zweifel erhaben.

Die Spieldauer
Merchant of Venus bietet den Spielern ganz bewusst in allen Belangen ein episches Erlebnis. Dazu zählt auch die Spieldauer. Pro (geübtem!) Teilnehmer dürfen gute 75 Minuten veranschlagt werden. Beide Varianten bieten jedoch einige optionale Regeln, mit denen man die Spieldauer verkürzen (oder auf Wunsch auch verlängern!) kann.

Das gemeinsame Grundprinzip beider Spiele
Die Spieler erkunden mit ihren Raumschiffmodellen einen Galaxienhaufen, der aus Planetensystemen, Asteroidenfeldern, Raumnebeln, einer Sonne, einer Supernova und der Galaktischen Basis besteht. All dies ist durch Handelsrouten miteinander verbunden. Über diese Handelsrouten und die darauf eingezeichneten Haltepunkte bewegen die Spieler ihre Schiffe. Sobald ein Raumschiff das erste Mal die Oberfläche eines Planeten erreicht, enthüllt die darauf vor Spielbeginn verdeckt abgelegte Erstkontaktkarte, welche von insgesamt 14 unterschiedlichen Zivilisation entdeckt wurde! Die dieser Zivilisation fix zugeordneten individuellen Eigenschaftsmarker sowie Handelswaren werden nun auf diesem Planeten abgelegt. Ab sofort können dort von allen Spielern Waren eingekauft und auf anderen Planetenwelten gewinnbringend verkauft werden. Davor müssen diese aber ebenso erschlossen (entdeckt) werden. Der Handel kann beginnen! Der Händler, der am Ende über den meisten Zaster verfügt, gewinnt das Spiel.

----------

DAS KLASSISCHE SPIEL
bespielt und beurteilt von Gerhard Göldenitz

Nach einem zu Beginn doch recht aufwendigen Spielaufbau, der übrigens bei beiden Spielvarianten ähnlich umfangreich ist, wird über eine vorher nicht bestimmte Anzahl an Runden gespielt. Wer am Zug ist, erkundet den Galaxienhaufen, kauft und/ oder verkauft Waren, transportiert Passagiere, rüstet sein Schiff auf oder tauscht es sogar gegen ein besseres um. Sobald ein Spieler zum Ende seines Spielzuges ein Nettovermögen von mindestens 2.000 Credits nachweisen kann, endet das Spiel und dieser Spieler gewinnt. Jeder Spielzug besteht aus den drei Phasen Bewegung, Erstkontakt und Geschäft, die von einem Spieler durchgeführt wird, ehe der nächste im Uhrzeigersinn dran ist.

Die Bewegungsphase wird in mehreren Schritten ausgeführt. Zuerst entscheidet sich der Spieler für die Richtung seiner geplanten Reise und dreht dazu sein Raumschiff an den Handelsrouten entsprechend. Die Zahl seines Geschwindigkeitsanzeigers am Schiff legt die Anzahl der Würfel fest, mit denen er jetzt per Wurf seinen Bewegungswert ermittelt. Einer der Würfel kann nebenbei auch noch zur Navigation genutzt werden, indem er auf das entsprechende Feld der Schiffsklassentafel gelegt wird. Damit dürfen bei Bedarf Navigationsfelder oder Teleportale entlang der Handelsrouten genutzt werden.
Als nächstes folgt die eigentliche Bewegung des Schiffes, wobei jeder Schritt ein oder zwei Bewegungspunkte kostet. Eine Landung auf einer Oberflächenstadt, einem Raumhafen oder Asteroiden beendet die Bewegungsphase, ebenso wenn alle Bewegungspunkte aufgebraucht sind. Entlang der Handelsrouten können neben Navigationsfeldern und Teleportalen, die entsprechende Weltraumsprünge ermöglichen und somit bestens zur Überwindung großer Entfernungen geeignet sind, auch Gefahrenfelder und Begegnungen auftauchen.

Eine Erstkontaktphase wird von einem Spieler dann ausgeführt, wenn er auf einer Oberflächenstadt oder einem Raumhafen gelandet ist, dessen System noch unentdeckt ist. Zur Kennzeichnung liegt dort eine verdeckte Erstkontaktkarte aus, die der Spieler nun aufdecken und an sich nehmen darf. Sämtliche bereitgelegte Marker dieser Kultur werden auf die entsprechenden Platzhalter des Spielplanes gelegt - diese Kultur ist jetzt bereit zum Handel mit jedem Spieler, der in diesem System landet.

Die Geschäftsphase ist der eigentliche Kern von Merchant of Venus. Der aktive Spieler versucht dabei mit der Kultur des Systems gewinnbringenden Handel zu treiben. Dies geschieht über den Kauf von Waren, Ausrüstung, Fabriken, Fabrikwaren und Raumhäfen, die diese Kultur bereit hält, aber auch über den Verkauf von Waren an diese Kultur und den Transport von Passagieren in dieses System oder aus ihm heraus. Die Anzahl seiner Kauf- und/ oder Verkaufsaktionen ist hierbei nicht beschränkt, außer der Spieler ist während seiner Bewegungsphase desselben Spielzuges im System gelandet. Dann darf er nur eine Kauf- und eine Verkaufsaktion durchführen.

Beim Klassischen Spiel handelt es sich ganz klar um eine Einsteigervariante, die etwas flotter und stringenter abläuft, wobei es vornehmlich um das Ausnutzen von Angebot und Nachfrage sowie einer optimale Routenwahl geht. Beim Kauf von Waren oder dem Transport von Passagieren muss man darauf achten, wo man diese wieder loswerden kann. Entsprechende Kulturen müssen bereits entdeckt sein, weshalb gerade zu Beginn der Warenhandel eher schleppend verläuft. Sobald immer mehr Kulturen entdeckt sind, kommt es vor allem auf Optimierungsgeschick an, um möglichst viele Geschäfte machen zu können. Und wenn einem dann auch der Würfelgott hold ist, blüht sehr schnell das eigene Geschäft. Der Glücksfaktor Würfel spielt, wie es später auch Franz noch ausführen wird, eine nicht unwesentliche Rolle. Und weil ein Spieler erst alle Phasen durchläuft, ehe der nächste dran ist, fällt die Downtime etwas länger aus.

Merchant of Venus beinhaltet sehr viele kleine Regeln, die aber in der großartig gestalteten und reichhaltig bebilderten Anleitung vollumfassend erklärt sind. Sehr schön finde ich die unterschiedlichen Spielpläne der beiden Varianten. Aber auch das umfangreiche Spielmaterial begeistert. Das sollte man allerdings zu Beginn aussortieren und in separate Zipp-Tüten verstauen, um beim Aufbau Zeit zu sparen. Der fehlende Bonusbehälter trübt ein klein wenig meinen Gesamteindruck dieses großartigen Spiels. Bei solch reichhaltiger Ausstattung wäre ein entsprechender Beutel oder Ähnliches sicherlich ohne große Kostenexplosion drin gewesen.

----------

DAS STANDARDSPIEL
bespielt und beurteilt von Franz Lindl

Die grundlegenden Mechanismen sowie die Abläufe des klassischen Spiels wurden bereits beschrieben. An dieser Stelle sollen daher nur noch die wesentlichen Unterschiede erwähnt werden, mit dem das Standardspiel aufwartet.

1. Das Spielziel: Nach wie vor gewinnt, wer den meisten Zaster besitzt. Allerdings gibt es für das Standardspiel ein fixes Ende – und das ist nach dem Ablauf der 30. Spielrunde erreicht - egal, wer zu diesem Zeitpunkt wie viel Bares besitzt.

2. Das Cockpit und der Pilot: Das Cockpit kann im Spielverlauf durch den Ankauf von Technologie-, Antriebs- und Frachtraummarkern ebenso verbessert werden wie die Eigenschaftswerte des Piloten. Zudem verfügt es über zwei bewegliche coole Tacho-Anzeigen für Laserwaffen und Schilde! Ein Verkauf bzw. Ankauf eines Schiffes ist im Standardspiel nicht möglich.

3. Begegnungen, Aufgaben und Belohnungen Für alle diese Vorkommnisse gibt es unterschiedliche Kartenstapel. Erfüllte Aufgaben werden mit Belohnungen vergütet und manche Haltepunkte auf den Handelsrouten sorgen für interessante Begegnungen (u. a. mit Weltraum-Piraten).

4. Ruhmes- und Schande-Marker Viele unterschiedliche Aktionen sorgen im Verlauf des Spieles dafür, dass die Piloten – abhängig von ihrem Verhalten – Ruhmes- oder Schande-Marker erwerben. Hat ein Spieler nach Ende der 30. Runde mehr Schande- als Ruhmesmarker, wird er disqualifiziert und scheidet aus dem Spiel aus.

Solovariante
Das Standardspiel wartet mit einer Solo-Herausforderung auf! In dieser werden vor Spielbeginn verdeckt fünf Herausforderungskarten gezogen und den Spielrunden 1, 7, 13, 19 und 25 zugeordnet. Erreicht der Rundenanzeiger die jeweilige Spielrunde, wird die entsprechende Herausforderung aktiv und löst bis zu deren Bewältigung negative Effekte aus. Wenn bis zum Ende der 30. Spielrunde alle Herausforderungen erfüllt wurden, gewinnt der Spieler.

Spieletester

01.10.2014

Fazit

Obwohl schon mal locker mehr als vier Stunden ins Land ziehen können, ehe das Spiel endet, ist der Handlungsspielraum groß genug, um keine Langeweile aufkommen zu lassen. Die „Downtime“ ist zwar vor allem in der Vollbesetzung durchaus ein Thema, jedoch kann und sollte diese dazu genutzt werden, um den eigenen nächsten Zug gründlich vorauszuplanen. Glücksfaktoren sind in Form von Würfeln, Begegnungs-, Auftrags- und Belohnungskarten genügend vorhanden, allerdings bringen diese das Gleichgewicht insgesamt nicht aus der Waage. Der Spannungsbogen baut sich rasch auf und hält bis zum Spielende.

„Erkunden und Handeln“ sind die beherrschenden Themen! Destruktive oder aggressive Mechanismen kommen bei Merchant of Venus nicht vor. Ein schönes, friedvolles Spieleerlebnis, das auf positives Erleben setzt und damit voll punktet. Ein strategisches Wettlauf-Spiel allererster Marke!

Mit Augenzwinkern und verschmitztem Lächeln
In Merchant of Venus können Waren mit den klingenden Namen „Eigenschaften in Dosen“, „Prächtiger Schrott“, „Unsterbliches Schmierfett“ und „Reinrassige Schrauben“ gehandelt werden. Die Frachtschiffe werden mit Technologien wie dem „Schicken Spoiler“, dem "Weniger schicken Spoiler" und der „Zen-Speziallackierung“ auffrisiert und für das Cockpit gibt es als Verzierung die „Plüschwürfel“ obendrein (und fast gratis). Auch auf vielen Karten treiben verrückte Texte ihr Unwesen. Dies führt in Zusammenhang mit Optik und Wertigkeit des Spielmaterials zu einem sehr stimmigen Gesamteindruck, der in unerklärlicher Weise Terry Pratchett und Han Solo mit einbezieht. Kaufempfehlung! Punkt.
Redaktionelle Wertung:

Plus

  • ein augenzwinkerndes Handels- und Entdecker-Abenteuer
  • tolle Ausstattung
  • Verzicht auf destruktive Spielmechanismen

Minus

  • lange Spieldauer (dennoch wird es nie langweilig)
  • großer Platzbedarf

Teilen mit facebook twitter

Kommentar verfassen

Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 1 bis 4
Alter: ab 14 Jahren
Spieldauer: 240 Minuten
Preis: 50,00 Euro
Erscheinungsjahr: 2014
Grafiker: Henning Ludvigsen
Genre: Strategie
Zubehör:

Karten:
42 Begegnungskarten
25 Belohnungskarten
20 Auftragskarten
14 Erstkontaktkarten
10 Herausforderungskarten
  8 Pilotenkarten
  1 Startspielerkarte
Spielmaterial Kunststoff: 
4 Händlerschiffe 
4 Kunststoffsockel 
8 Befestigungsstifte 
4 Würfel, weiß (sechsseitig) 
1 Würfel, violett (sechsseitig)
Spielmaterial Karton:
103 Creditmarker
  76 Warenmarker
  48 Raumhafen-/Bohrmarker
  42 Marktmarker
  38 Nachfragemarker
  25 Ruhmesmarker
  24 Rassentechnologiemarker
  24 Raumhafenvertragsmarker
  17 Gefahrenmarker
  15 Passagiermarker
  14 Fabrikwarenmarker
  14 Fabrikvertragsmarker
  14 Kulturmarker
  12 Asteroidenmarker
  10 Teleportalmarker
    9 Reliktmarker
    8 Auftragsmarker
    8 Frachtraummarker
    8 Piratenmarker
    8 Schildmarker
    6 Antriebsmarker
    3 Raumhafenmarker
    2 Produktionsmarker
    1 Spielrundenmarker
Sonstiges:
1 Spielbrett (doppelseitig)
4 Raumschiff-Armaturentafeln
8 Schiffstafeln (doppelseitig)
8 Anzeigenpfeile
8 Unterlegescheiben
Spielanleitungen:
1 Regelheft Klassik (24 Seiten)
1 Regelheft Standard (36 Seiten)

Anzeige

Statistik

Derzeit findest Du auf spieletest.at 7193 Gesellschaftsspiele-,
1656 Videospielrezensionen
2306 Berichte.