Amyitis

Amyitis – Der Sage nach eine wunderschöne, medische Prinzessin, welche von Nebukadnezar II., dem babylonischen König, geheiratet wurde. Doch wie immer im Leben, die Schöne langweilte sich sehr bald im staubigen und trockenen Babylon. Um sie wieder aufzumuntern, ließ Nebukadnezar ihr zu Ehren und zur Erinnerung an ihre Heimat, die Palastanlage der „Hängenden Gärten von Babylon“ errichten, die später als eines der Sieben Weltwunder in die Menschheitsgeschichte Einzug halten sollte. Soweit die Sage.

Zwar sind durch neuere Ausgrabungen starke Zweifel daran aufgekommen und es stehen mittlerweile auch mehrere gleichwertige andere Theorien im Raum, welche darin gipfeln, dass sich die hängenden Gärten sowieso niemals in Babylon befunden hätten, doch der erfolgreiche Spieleautor und Gründer des Ystari Verlages, Cyril Demaegd, erkannte rasch das Potenzial, welches diese Sage in sich barg und siedelte sein mit Spannung erwartetes neues Spiel im historischen Babylon an.
Ystari ist ein französischer Spieleverlag, der erst 2004 ins Rampenlicht der Öffentlichkeit getreten war und seitdem eine rasante Entwicklung nahm. Eines seiner Markenzeichen ist es, das bei allen bisher verlegten Spielen immer das „Y“ und das „S“ im Spieltitel untergebracht wurde. Diese kleine Marotte brachte dem Verlag anscheinend Glück, waren doch alle bisherigen Spiele von einer hohen spielerischen Qualität. Der ganz große Wurf gelang Ystari dann allerdings mit „Caylus“ im Jahre 2005.
Im Vorfeld der Spiele Messe in Essen 2007 wurde „Amyitis“ nun von vielen als das geniale Spiel gehandelt, welches „Caylus“ noch einmal deutlich weiter entwickeln würde. Ob das geklappt hat, soll nachstehende Rezension näher beleuchten.

Bis zu vier Spieler schlüpfen in die Rollen babylonischer Adliger, welche sich um die Errichtung der hängenden Gärten verdient machen wollen, um vom König mit Ruhm und Ehre überhäuft zu werden.
Zu diesem Zweck rekrutieren sie Helfer in Form von Bewässerungsfachleuten, Priestern, Bauern und schließlich auch Karawanenführern, um Handelsgüter in andere mesopotamische Städte zu transportieren und dort gegen seltene Pflanzen oder wichtige, so genannte Hofkarten einzutauschen. Diese Pflanzen können dann endlich in den hängenden Gärten auf bereits bewässerten Bereichen angepflanzt werden.

Vor dem Spielen muss aber, wie immer, erst einmal die Hürde des Regelstudiums und des Spielaufbaus genommen werden. Vor allem letzteres wurde in diesem Fall von Ystari unnötig verkompliziert.
Die eigentliche Spielregel ist perfekt geschrieben, sehr gut illustriert und durch Beispiele ausreichend hinterlegt. Komplett konträr hingegen die Anleitung zur Vorbereitung des Spieles. Was sind Gewerbe, welche Karten gehören zu den Hofkarten, werden die Terrassenplättchen der hängenden Gärten sichtbar oder verdeckt ausgelegt? Viele Fragen die sich dem auf das Spiel fiebernden Spieler auch nach mehrmaligem Studium der Anleitung nur schwer erschließen.
Die Grafik, welche sich im Laufe des Spieles als zweckmäßig herausstellen wird, kann an dieser Stelle auch keine Unterstützung geben. Selbst eine opulent illustrierte Doppelseite in der Regel hilft nicht unbedingt weiter. So gehen Anfänger, welche das Spiel noch nicht kennen und keinen erklärenden Mitspieler dabei haben, mit argen Bauchschmerzen „haben wir jetzt alles richtig verstanden oder fehlt noch was?“ in dieses Spiel, wenn Sie es denn tun und nicht schon vorab die Flinte ins Korn geworfen und entnervt aufgegeben haben.

Aber nun endlich zum Spielablauf selbst.
Amyitis spielt sich parallel auf zwei Spielplänen ab. Der Größere zeigt die Stadt Babylon mit den Hängenden Gärten, drei vorhandenen Tempeln und der Ruhmesleiste. Der Kleinere stellt Mesopotamien mit seinen wichtigsten Städten dar, in denen mit Hilfe von Karawanen Handel getrieben werden kann. Das Spiel selbst läuft über mehrere Spielrunden. Jede Spielrunde gliedert sich in drei Phasen, die vorbereitende Phase, die Aktionen der Spieler und die Endphase.
In der Vorbereitung wird je nach Spielerzahl eine bestimmte Anzahl von zu rekrutierenden Helfern in Dreiergruppen aufgeteilt, offen ausgelegt und das zusätzliches Einkommen (erhält man über Hofkarten) verteilt.
In der Aktionsphase können die Spieler wählen, ob sie Helfer rekrutieren, Karawanen entsenden oder einfach für die komplette Phase passen möchten.
Mittels der Rekrutierung sichern sich die Spieler die Dienste der ausliegenden Bauern, Priester, Ingenieure und Karawanenführer. Innerhalb der Dreiergruppen werden die Rekrutierungen teuerer, je weniger noch zur Verfügung stehen. Was bewirken nun diese Helfer?
Durch Karawanenführer erhält man Kamelplättchen, um in einer anderen Aktion die Karawane vorwärts bewegen zu können. Durch Bauern kann man Äcker bepflanzen, welche vorgegebene Waren generieren, die dann in fernen Städten gehandelt werden können. Priester beten in unterschiedlichen Tempeln zu unterschiedlichen Göttern um Beistand und Segen. Hat man in den Tempeln Mehrheiten, werden Vorteile wie Geld, Ruhm oder Waren gewährt. Ingenieure arbeiten am Kanalnetz, bewässern so die Terrassen der Hängenden Gärten und generieren damit Ruhmespunkte. Gleichzeitig machen sie damit den Weg für die Bepflanzung der Terrassen frei.

Alternativ kann der Spieler mittels Karawanen auf dem Mesopotamien Spielplan Städte in seiner Reichweite (hierfür werden die Kamelplättchen genutzt) aufsuchen und dort Handel treiben, wenn er die gewünschten Waren (wir erinnern uns, diese wurden von den Bauern produziert) in seinem Vorrat hat. In diesen Städten gibt es auch die Möglichkeit, Hofkarten zu erhandeln. Diese gewähren für das gesamte Spiel aufsteigende Boni auf Einkommen, Karawanenreichweite oder ganz einfach Ruhmespunkte am Hof des babylonischen Königs. Doch Achtung, es sind in aufsteigenden Stufen immer weniger Hofkarten vorhanden und nur wer eine Karte für das Einkommen in der Stufe 1 hat, darf sich auch eine Karte der Stufe 2 neu erhandeln. Gibt es diese nicht mehr, weil ein Mitspieler schneller war, Pech gehabt. Außerdem ist es möglich, in einigen Städten die begehrten, seltenen Pflanzen zu erhandeln und sofort in bewässerten Bereichen der Hängenden Gärten an zu pflanzen. Als Lohn winken in jedem Fall Ruhm und meistens auch noch Geld, Kamele oder Hofkarten.

Die dritte und einfachste Methode etwas zu tun ist – nichts zu tun und zu passen. Das generiert als Belohnung immer dann schnöden Mammon, wenn der Spieler eigentlich eine Aktion ausführen dürfte und setzt damit die Mitspieler gehörig unter Druck, denn wie immer ist Reichtum der Schlüssel zum Erfolg.

Haben alle Spieler gepasst, folgt das Ende der Runde. Hier hat der rechts vom aktuellen Startspieler sitzende Spieler noch einmal die Möglichkeit, in allen drei Tempeln in Babylon eventuell die Mehrheiten zu verändern. Danach werden die Tempel ausgewertet und die Belohnungen ausgeschüttet. Der Startspieler wechselt und es folgt eine weitere Runde bis schließlich nur noch vier von insgesamt 16 Terrassen der Hängenden Gärten unbepflanzt sind.
Sieger ist, wer hätte das gedacht, derjenige Spieler der am Schluss des Spieles die meisten Ruhmpunkte für sich verbuchen kann.

Amyitis ist wieder einer dieser genialen Hirnverzwirbler, ein strategisches Schwergewicht mit einem kleinen Glücksfaktor, aber mit jeder Menge Optionen für die Siegpunktegenerierung und –optimierung. Es gibt eine Vielzahl von Siegstrategien, welche ausprobiert werden können. Man ist geneigt, alles gleichzeitig machen zu wollen, hat aber wie immer von allem viel zu wenig.
Aber wo Licht ist, ist auch Schatten. Über den ersten großen Kritikpunkt, die schwierige Phase der Einarbeitung, hatte ich mich ja schon gehörig geärgert. So etwas darf so einem Verlag einfach nicht passieren und verschreckt schon vorab die Spieler.
Mein zweiter Kritikpunkt betrifft die Grafik des Spieles. Während die Karten, wenn schon nicht als schön, dann doch als zweckmäßig erklärt werden können, hat man mit der Gestaltung der Spielfelder wahrlich keine Bäume ausgerissen. Diese wirken überladen und tragen nicht besonders viel zur Spielatmosphäre bei. Es gibt mittlerweile genügend Grafiker mit Potenzial, die solch einem Spiel den letzten optischen Schliff verpassen, sich damit selbst einen Namen machen und das Spiel damit letztendlich auch aus der Masse ähnlich gelagerter hervorheben könnten.
Als Beispiel sei nur an „Die Säulen der Erde“ erinnert.
War beim großen Vorbild Caylus schon aufgrund des Spielplanes und der einzelnen Runden klar, wohin die Reise gehen würde, tut man sich bei Amyitis seltsam schwer, eine gerichtete Strategie zu finden, zu unübersichtlich ist alles angeordnet, ständig gerät irgend etwas außerhalb des Blickfeldes.
Dabei es kein schlechtes Spiel, ganz im Gegenteil, denn wenn man die Möglichkeiten endlich verinnerlicht hat, will man es gleich wieder auf den Spieltisch bringen. Leider dauert das Spiel allerdings mit rund zwei Stunden Spielzeit auch meist zu lange, um es zwei Mal hintereinander zu spielen und bevor man es wieder neuen Mitspielern erklärt hat…..

Spieletester

26.01.2008

Fazit

Amyitis ist es ein äußerst interessantes und vielschichtiges Spiel mit einem großen, eigenen Potenzial. Es richtet sich allerdings aufgrund von Inhalt und Spieldauer ganz klar an Vielspieler mit Vorlieben für Strategieschwergewichte ohne größeren Glücksanteil. Hat man niemanden von der Spezies der Optimierer in der Spielrunde spielt sich Amyitis angenehm flott, mit einem hohen Maß an Interaktion. Es funktioniert in der Besetzung mit 4 und 3 Spielern am besten. Zu zweit ist es ohne den Konkurrenzdruck ein wenig unbefriedigend. Im vielbeschworenen Vergleich zum Überspiel Caylus kann ich allerdings keine Weiterentwicklung erkennen. Man sollte Amyitis aber auch als eigenständiges Spiel sehen und nicht an Caylus messen. 
Das jedoch, so fürchte ich, wird sich leider nicht mehr verhindern lassen.
Redaktionelle Wertung:

Plus

Minus

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 2 bis 4
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: 90 Minuten
Preis: 23,00 Euro
Erscheinungsjahr: 2007
Verlag: Ystari Games
Autor: Cyril Demaegd
Grafiker: Arnaud Demaegd
Genre: Strategie
Zubehör:

- Spielregel - 1 Spielplan Babylon und 1 Spielplan Mesopotamien - 20 Gartenplättchen - 35 Warenplättchen mit 5 verschiedenen Waren (Gerste, Datteln, Salz, Palmen, Wein) - 14 Kamelplättchen und 1 Karawanenplättchen (roter Hintergrund) - 30 Münzen aus Pappe - 56 Karten (18 x Gewerbe, 4 x Pflanzen, 31 x Hof, 2 x Amyitis, 1 x Startspieler) - 135 Holzwürfel in 5 Farben (blau, rot, schwarz, weiß, grau) - 4 Markierungssteine in 4 Farben (blau, rot, schwarz, weiß)

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