Helden der Normandie

In den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts produzierten die Filmstudios in Hollywood eine ganze Reihe von Filmen, die den Zweiten Weltkrieg zum Thema hatten und einer Vielzahl großer Leinwandhelden zu heroischen Auftritten verhalfen. So zogen unter vielen anderen Lee Marvin und Charles Bronson in The Dirty Dozen, James Coburn, Maximilian Schell und James Mason in Cross of Iron und Richard Burton, Sean Connery und John Wayne in The Longest Day für die US-Army oder das Dritte Reich in die kinotauglich aufbereitete Schlacht, um als meist überlebensgroße Teufelskerle Filmgeschichte zu schreiben.
Laut Eigendefinition greift Helden der Normandie die Tradition dieser klassischen Hollywood-Kriegsfilme auf und entgeht dadurch recht geschickt dem Gewissenskonflikt, dass Vernichtungsfeldzüge und Rassenwahn eigentlich nicht so recht zum Brettspiel-Thema taugen. Nicht von ungefähr hatten es unter diesem Gesichtspunkt selbst Schwergewichte wie Axis & Allies und Memoir ‘44 schwer, im ansonsten überaus spielaffinen deutschen Sprachraum Fuß zu fassen. Im Fall von Helden der Normandie geht der Schachzug jedoch auf, denn während eines Spiels entsteht tatsächlich das Gefühl, einfach nur Dreharbeiten an einem Kinofilm mitzuerleben, der – ganz in Hollywood-Manier – die Sache historisch nicht allzu genau nimmt und irgendwo im namenlosen Hinterland der französischen Atlantikküste spielt.

Vorbemerkung
Helden der Normandie bietet eine klassische Zwei-Parteien-Konfrontation und obwohl darin neben amerikanischen Platoons eben auch Einheiten der Deutschen Wehrmacht die Hauptrollen spielen, scheint der Spagat zu gelingen. Zwar mag es sein, dass sich der die alliierten Einheiten führende Spieler in seiner Rolle besser fühlt, aber ein großes Leinwand-Abenteuer braucht eben auch fiese Gegenspieler. Und mit diesem Gedanken im Hinterkopf fällt es deutlich leichter, die Truppenverbände der Wehrmacht durchs Gelände zu führen. Beachtet man die Altersangabe „Ab 14 Jahren“ (die französisch/englische Originalausgabe wartet offenbar mit der eher kühnen Altersempfehlung „Ab 10 Jahren“ auf) und lässt tatsächlich keine Kinder am Kriegsspiel teilhaben, macht das Spielsystem jedenfalls durchaus Sinn.

Das Spielmaterial
In der Schachtel findet sich tonnenweise Spielmaterial der allerbesten Qualität. Geländetafeln und Stanzbögen sind aus hochwertig starkem Karton. Die unübersehbar große Anzahl an Spielmarkern und Schablonen muss vor dem ersten Einsatz jedoch gründlich vorsortiert und sollte auch gleich in geeigneten Aufbewahrungsboxen untergebracht werden (der Schachteleinsatz bietet dazu keinerlei Möglichkeit). Ansonsten würden die Vorbereitungsarbeiten für den jeweiligen Szenario-Aufbau viel zu lange dauern und jedes Mal in mühsamste Kleinarbeit ausufern. Ein großes Sonderlob für Optik und Haptik gebührt den hölzernen Befehlsmarkern und den vier "thematisch" gestalteten sechsseitigen Würfeln. Auch die Illustrationen sind kaum zu überbieten (alle Einheiten sind aus der Vogelperspektive dargestellt und jeder einzelne Soldat ist individuell bis ins kleinste Detail ausgearbeitet).

Gewöhnungsbedürftig ist sicherlich der Mix aus der mehr oder weniger Comic-artigen Darstellung von Helden/Einheiten/Fahrzeugen und den realen Weltkriegs-Fotos, die auf den Aktionskarten abgedruckt sind. Das fühlt sich irgendwie nicht besonders homogen an: Man hätte gut daran getan, den Grafiker in diesem Bereich besser nicht einzusparen.

Die Rekrutierungs-Schablone
Kernbestandteil sind die Rekrutierungs-Displays. Jedes amerikanische Platoon und jede deutsche Kompanie verfügt über ein solches. Diese Spielhilfe ist eine Kartonschablone, in deren vorgestanzte Aussparungen Marker für Einheiten, Fahrzeuge, Befehle und Spezialfähigkeiten eingelegt werden können – wenn sie denn farblich passen! Denn das Display ist durch ein Farbleitsystem eindeutig mit allen ihm zugeordneten Markern verbunden. Marker, die nicht zum Farbleitsystem der Schablone passen, dürfen dieser nicht zugewiesen werden! So verfügt jedes Platoon und jede Kompanie über individuelle Eigenschaften und Fähigkeiten. Auf jedem dieser Marker ist ihr Zahlenwert in Form von Armeepunkten vermerkt. Je besser die Einheit/Eigenschaft, desto höher deren Zahlenwert. Vor Beginn einer Partie einigen sich beide Kontrahenten darauf, wie viele Armeepunkte beiden Parteien zur Ausrüstung ihrer Schablonen zur Verfügung stehen. Somit ist gewährleistet, dass sich stets gleich starke Truppenteile auf dem Schlachtfeld wiederfinden.

Die Szenarien und der Spielablauf
Den Spielern werden in einem eigenen Heftchen zehn vorgefertigte Szenarien angeboten. Während das Tutorial “Ein Geschenk des Himmels" auf zwei Spielbrettern und mit vier gegen vier Einheiten über die Bühne geht, steht am Ende das Kapitel “Feuersturm“, das sich über sechs Spielbretter erstreckt und in dem beide Seiten mehr oder weniger auf alle verfügbaren Einheiten und Geschütze inklusive einer Vielzahl gepanzerter Fahrzeuge zugreifen.

Entsprechend den im Rekrutierungs-Display eingesetzten Einheiten werden nun größere Marker dieser Truppenteile in ihren jeweiligen Aufmarsch-Zonen direkt auf den Spielbrettern platziert. Auf diesen Markern ist eine Vielzahl von Zahlen und Symbolen aufgedruckt, die alle nötigen Informationen zur jeweiligen Einheit liefern (Name, Waffengattung, Bewegungsweite, Spezialfähigkeiten, Kampfboni, Treffer-Resistenz usw.). Zudem verfügen diese Einheiten auch über die in ihrem Display abgelegten Befehle und Spezialfähigkeiten. In den vorgegebenen Szenarien haben beide Seiten zumeist unterschiedliche Siegbedingungen zu erfüllen. Es ist dabei keineswegs so, dass ausschließlich die Eliminierung des Gegners zum Spielsieg führt. Vielmehr gilt es, Stellungen zu sichern und zu halten, Gebäude zu sprengen oder vor dem Gegner an wichtige Geheimdokumente zu gelangen. Oder einfach nur darum, den entlaufenen Hund des US-Generals wieder einzufangen, ehe Rex (das ist der Name des Hundes, nicht des Generals!) hinter die deutschen Linien läuft.

Szenarien-abhängig finden sich neben amerikanischen und deutschen Soldaten auch Krafträder, Panzerfahrzeuge, Kübelwagen, Verteidigungsstellungen und größere Gebäude in Form von Gelände-Overlays auf dem Spielbrett. Aktionskarten runden das Spielerlebnis ab.

Der Spielablauf ist denkbar einfach: Jede Spielrunde besteht aus der Befehlsphase, in der mittels Befehlsmarkern geheim festgelegt wird, welche der eigenen Einheiten sich in der Aktivierungsphase in welcher Reihenfolge bewegen und/oder den Gegner angreifen. In der Versorgungsphase können sich schließlich noch jene Einheiten bewegen, auf die keine Befehlsmarker gespielt wurden. Je nach Szenario werden zwischen sechs und acht Spielrunden ausgetragen – es sei denn, eine der Parteien hat bereits davor die Siegbedingung erfüllt.

Spieletester

02.07.2014

Fazit

Es ist offenkundig, dass die Designer viel Zeit darauf verwendet haben, einen raschen Einstieg ins Spiel möglich zu machen. Das ist teilweise auch gelungen. Die grundsätzlichen Abläufe sind tatsächlich relativ schnell verinnerlicht. Möchte man im Regelheft bestimmte Themen nachschlagen, sind diese recht einfach aufzufinden. Auch der Aufbau und das für die jeweiligen Szenarien geltende Sonder-Regelwerk sind detailliert und verständlich erklärt. Bei der unübersehbar großen Menge an Spezial-Fähigkeiten und den diesen zugeordneten Symbolen hakt es allerdings anfangs ganz gewaltig. Ohne häufiger Konsultation der Spielhilfe (Rückseite des Regelheftes) geht vorerst einmal wenig bis gar nix. So oder so – will man nicht das eine oder andere wichtige Detail übersehen, sollte man vor dem Spieleinstieg das Regelwerk gründlich und sehr konzentriert durchackern.

Natürlich ist ein Brettspiel, das globale Kriegsszenarien zum Thema hat und dieses nicht abstrakt behandelt, sehr deutlich zu hinterfragen. Wer damit kein Problem hat und die Prämisse nicht als vorgeschoben betrachtet, dass Helden der Normandie einfach nur die Kinofilm-Tradition der goldenen Hollywood-Ära fortführen möchte, wird diesem Spielsystem viel abgewinnen können. Freunde der Memoir ’44-Reihe werden sich ohnehin vergnügt die Hände reiben! Ebenso können sich Inglourious Basterds-Fans über ein "Uber-Bingo" freuen - Quentin Tarantino, Brad Pitt, Michael Fassbender und Christoph Waltz sitzen förmlich mit am Spieltisch.

Anmerkung: Nicht nervös machen lassen sollte man sich davon, dass das Regelwerk einige Befehle (wie z.B. "Rauch" und "Direktive") und Gelände-Auswirkungen (Wasser) erklärt, die im Basisspiel gar nicht enthalten sind! Diese Erklärungen nehmen Bezug auf Spielmaterial, das im Zuge von Erweiterungen veröffentlicht wird.
Redaktionelle Wertung:

Plus

  • Fähigkeitswerte der einzelnen Einheiten sind innovativ und sehr übersichtlich dargestellt
  • Szenarien-Editor

Minus

  • das Regelheft muss anfangs etwas zu häufig zu Rate gezogen werden

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 2
Alter: ab 14 Jahren
Spieldauer: 75 Minuten
Preis: 60,00 Euro
Erscheinungsjahr: 2014
Grafiker: Alexandre Bonvalot
Genre: Taktik
Zubehör:

Gelände:
6 Spielbretter (doppelseitig)
Karton-Schablonen:
2 Offiziere
6 Helden Rekrutierungs-Displays und Rekrutierungs-Optionen für vier Platoons/Kompanien
Gelände-Overlays:
3 Gebäude
4 befestigte Stellungen
Spielkarten:
156 Aktionskarten
Spielmaterial aus Holz:
30 Befehlsmarker
Spielmaterial aus Plastik:
4 Würfel (sechsseitig)
Spielanleitungen:
1 Regelheft (16 Seiten)
1 Szenarienheft (16 Seiten)
Sonstiges:
Szenarien-Generator

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