Agora

Der Verlag Spielworxx ist mit seinen kleinen, meist limitierten Auflagen unter Spielern für hochgradige Strategiespiele bekannt und beliebt, nicht zuletzt auch wegen deren hochwertiger Aufmachung und Ausstattung.
Die farblose Schachtel mit drei dunklen, silhouettenhaften Figuren auf hellem Grund passt da nicht so recht ins Bild und der Eindruck setzt sich beim lieblos illustrierten Spielplan fort. Das verwundert, denn der Autor Harald Lieske ist vor allem durch seine ausgezeichneten Illustrationen zahlreicher Spiele bekannt. Aber egal, lieber mehr Sein als Schein als umgekehrt. Ob das hier zutrifft werden wir sehen.

Jeder Spieler hat fünf Bürger, das sind mit A – E bezeichnete Plättchen. Bürger sollten eigentlich Namen haben, denn auch im alten Griechenland, Schauplatz dieses Spiels, wurden sie nicht nur mit Buchstaben versehen. Auch das ist Ausdruck einer gewissen Nachlässigkeit, die sich durch das gesamte Spiel zieht. Auf seiner Spielertafel verwaltet jeder Spieler die Eloquenz seiner Bürger, oder, um es weniger gestelzt auszudrücken, deren Redegewandtheit. Normalerweise würde man das einfach Stärke oder Macht nennen, in diesem Rahmen hat aber Redegewandtheit durchaus Berechtigung.

Was können die Bürger auf der Agora (zentraler Platz griechischer Stadtstaaten) tun? Reihum setzt jeder Spieler immer einen seiner Bürger verdeckt ein und kann auf dem Markt Rohstoffe kaufen, auf der Tauschbörse Rohstoffe tauschen, in der Rednerschule besser reden lernen, was immer einen Rohstoff kostet, im Gericht einen Händler anklagen und schließlich auf dem Bauplatz zum Bau eines Denkmals beitragen, was ebenfalls Rohstoffe erfordert. Diese Einsetzphase endet, nachdem jeder Spieler seine fünf Bürger gesetzt hat. Es ist ausdrücklich erlaubt, Plätze zu blockieren, auch wenn man die Aktion gar nicht ausführen will oder kann. Das ist besonders sinnvoll bei den sehr begrenzten Tausch- und Denkmalsbauplätzen, aber auch in der Rednerschule. Vielleicht hat man gar keine Rohstoffe für diese Aktionen oder will sie anderweitig einsetzen; Hauptsache, man blockiert einen der Plätze für die anderen Spieler – ein kleines, aber „nettes“ Ärgerelement.

Anschließend werden die Bürgerplättchen aufgedeckt und die Leutchen gehen nun ihren Aufgaben nach. Auf dem Markt bieten drei Händler, jeweils durch ein Plättchen der drei Rohstoffsorten dargestellt, Rohstoffe zum Erwerb an. Jeder Stand bietet reichlich Platz für viele Bürger. Geld gibt es nicht, man nimmt sich einfach die entsprechende(n) Rohstoffkarte(n), wenn der Markt abgehandelt wird. Im günstigsten Fall gibt es drei verschiedene Rohstoffreihen zur Auswahl, im schlechtesten Fall drei gleiche – meist ist das Verhältnis 2:1. Auf dem Tauschplatz werden Rohstoffe im Verhältnis 3:2 oder 2:1 getauscht, hier ist der Platz begrenzt und es gilt, wer zuerst kommt, mahlt, nein, tauscht zuerst. Die Rednerschule wurde oben schon erklärt; im Gericht ist derjenige Ankläger, der dort die Bürger mit den meisten Rednerpunkten hat. Dazu gleich noch mehr. Die wenigen Plätze beim Bau des Denkmals sind sehr begehrt, denn hier gibt es zum Schluss des Spiels die meisten Siegpunkte zu ergattern. Mit steigender Baustufe werden mehr und mehr Rohstoffe gefordert, in verschiedenen Kombinationen der Anzahl zweier Sorten, durch zufällig gezogene Plättchen angezeigt.

Die Markthändler, die Redeschule und das Gericht bieten zwar reichlich Platz, die beiden erstgenannten entpuppen sich allerdings als ideale Vorlagengeber. Nicht nur die jeweils ersten Bürger bekommen zwei Rohstoffe bzw. zwei Redepunkte, sondern auch auf weiteren Feldern gibt es je zwei zu ergattern. Dazwischen liegen allerdings Felder mit jeweils nur einem Rohstoff bzw. Redepunkt. Irgendwie hat jeder Spieler meist das Gefühl, nur Vorlagen zu liefern, aber selbst keine zu bekommen – was natürlich tatsächlich nicht so ist. Eine gewisse „Königsmacherfunktion“ ist aber nicht abzustreiten, auch wenn das auf dem Markt unter Umständen bei zu knappen Rohstoffen dadurch ausgeglichen wird, dass zuerst der/die Spieler bedient wird/werden, dessen/deren dort vorhandene Bürger mehr Redepunkte aufweisen.

Anlass zu größerer Kritik bietet das Gericht. Wer dort den/die Bürger mit den meisten Redepunkten hat, ist Ankläger und klagt einen der Markthändler an. Nur dadurch können andere Rohstoffe ins Spiel kommen, was an und für sich eine nette Idee ist. Das Urteil fällt allerdings die Jury bzw. der Richter, den die Jury bestimmt. Zu diesem Zweck hat jeder Spieler noch fünf weitere kleinere Bürgerplättchen, die jeweils einem seiner Bürger entsprechen (A – E). Davon werden pro Spieler drei Stück verdeckt gezogen und anschließend aufgedeckt. Der Spieler, dessen hier gezogene Bürger die meisten Redepunkte aufweisen, fällt das Urteil – schuldig oder unschuldig, ohne weitere Verhandlung. Bei Unschuld verliert der Ankläger einen Siegpunkt und der Richter profitiert mit Siegpunkt und einer Rohstoffkarte des Händlers, der auf dem Markt bleiben darf. Bei Schuldspruch wandert der Händler, sprich das Rohstoffplättchen, ins Gefängnis, der Ankläger erhält einen Siegpunkt und der Richter ebenso, außerdem bekommt dieser noch zwei Rohstoffkarten des neuen Händlers. Alle Bürger, die am Stand des verurteilten Händlers waren, verlieren jeweils einen Redepunkt. Ich schildere das so ausführlich, weil das Gericht eine erhebliche Rolle spielt, sehr zufallsbetont ist und so gar nicht zum taktischen Grundkonzept des Spiels passt. Oder doch? Denn wer sich früh viele Redepunkte holt, verschafft sich meist leicht Ankläger- und Richterposten in einer Person, was oft kaum aufzuholende Vorteile bedeutet. Da müssen die anderen eben gegensteuern, kann man einwenden, aber da kommt dann wieder die Vorlagensituation ins Spiel. Die Gleichstandsregelung bei Ankläger und Richter ist übrigens leider unklar und erlaubt Interpretationen, die wir nach „gesundem Menschenverstand“ geregelt haben. Völlig unverständlich und zunächst verwirrend ist, dass die Juryplättchen jedes Spielers immer beim linken Nachbarn liegen und auch von diesem gezogen werden. Bei der Rücknahme greift natürlich jeder erstmal zu seinen eigenen Plättchen, was zu manchem Durcheinander führt, das sich erst nach einigen Runden legt. Da die Juryplättchen gemischt und dann verdeckt gezogen werden, erschließt sich der Sinn nicht, warum der Nachbar dafür zuständig ist und nicht der Spieler selbst. Mogeln? Ach was, wer denkt denn an so was, mit solchen Leuten spielt man sowieso nicht.

Spieletester

07.05.2014

Fazit

Agora funktioniert, ist aber recht monoton und zieht sich ohne große Spannung, bis das Spiel endlich zu Ende ist, weil entweder zwei Bürger eines Spielers die maximale Anzahl Redepunkte erreicht haben, die höchste Denkmalstufe gebaut wurde oder sechs Händler im Gefängnis sitzen. Außer den im Spiel erzielten Siegpunkten erhält jeder Spieler nun noch Punkte für seine erreichten Rednerpunkte und gebauten Denkmalstufen, sowie eventuell auch für bestimmte Rohstoffkarten. Agora war Sieger des Hippodice Autorenwettbewerbs 2008 und ein Mitspieler, der damals auch den Prototyp gespielt hatte, meinte sich zu erinnern und festzustellen, dass ausgehend davon kaum etwas oder nichts geändert wurde. Das ist schade, denn ein vielversprechender Prototyp und Wettbewerbssieger ist noch nicht unbedingt ein gutes Spiel. Ein paar Schräubchen hätte man noch drehen sollen, vor allem die Gerichtssache ist unausgegoren und verbesserungsbedürftig und die Spielzeit ist für das Gebotene zu lang. So bleibt am Spiel zu viel von einem zwar guten, aber noch entwicklungsbedürftigen Prototyp haften, untermauert durch die schlaffe Grafik. Das Portfolio von Spielworxx bietet bisher noch nicht sehr viele Spiele, aber alle anderen sind um Klassen besser als Agora. Einige oder sogar recht viele Redepunkte mehr hätten dem Spiel gut getan.
Redaktionelle Wertung:

Plus

Minus

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Besucherkommentare

Dominic | 08.05.2014

Hallo Ferdinand,
Danke für die Rezension zu diesem Spiel, das - Zufall, Zufall - just erst kürzlich in meinen Fokus geraten war, weil Verleger Uli Blennemann höchst selbst das Spiel vorstellte im folgenden Video:
http://www.cliquenabend.de/news/662600-Videovorstellung-Agora-Spielworxx.html
Mich sprach das Thema (!) sofort an und ich fand es gerade interessant, dass eben NICHT Stärke o.Ä. die sonst nahezu allgegenwärtige Größe ist, sondern mit Rhetorikfähigkeit (/-stärke) mal etwas völlig unkriegerisches Kern des Spiels ist. Ich muss allerdings zugeben, ohnehin kein Spielmechanist, sondern ausgeprägter Themenspieler zu sein, weshalb mich ein rein überraschenderweise mal wieder nicht absolut ultimativ spielmechanisch revolutionär innovatives Spiel allemal ansprechen kann, wenn mich das Thema fesselt aufgrund stimmiger Umsetzung.
Wenn hier aber schon die stadtstaatlichen Bürger nicht Sokrates, Heraklit, Platon und Co. heißen (was schlicht thematisch rund gewesen wäre), sondern A bis E, ist das allemal ein atmosphärischer Hemmschuh:-(.
Letztlich müsste ich es mal proaktiv spielen, um mir einen "richtigen" Eindruck machen zu können, aber gar so mitreißend liest sich deine Einschätzung leider nicht (v.a. in Anbetracht eines Kaufpreises von 50€, so sehr dieser auch dem Kleinverlag und der Kleinauflage geschuldet ist).... Schade das, eben gerade weil man ganz andere Themen (auch und gerade in der Antike) schön gewesen wären, so sie auch spielerisch zu überzeugen wüssten.
Gruß Dominic

Jörg Domberger | 26.10.2015

Ich kann der Rezension voll inhaltlich zustimmen.
Ein paar Partien sind OK, dann wird der Ablauf immer monotoner, außerdem bietet der Spielablauf jede Menge Möglichkeiten für Königsmacher.
Schade, das unverbrauchte Thema kann hier auch nichts retten.

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 2 bis 4
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: 75 Minuten
Preis: 49,00 Euro
Erscheinungsjahr: 2013
Verlag: Spielworxx
Autor: Harald Lieske
Grafiker: Harald Lieske
Genre: Bluff
Zubehör:

1 Spielplan, 4 Rhetoriktafeln, 20 Bürgerplättchen, 20 Losplättchen, 20 weiße Rhetoriksteine, 8 Zählsteine, 45 Rohstoffkarten, 12 Rohstoffplättchen, 9 Nachfrageplättchen, 1 Startspielerplättchen, je 1 deutsches und englisches Regelheft

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