Arcane Codex Grundregelwerk 2. Edition

Dem Rollenspielmarkt mangelt es bekanntlich nicht an Systemen – weder an alteingesessenen noch an immer wieder neuen. Die meisten der zweitgenannten gehen nach einer Weile unter. Einige wenige aber überleben. Zu denen zählt auch Arcane Codex. Im Jahr 2002 erschienen machte es im Jahr darauf gleich gehörig auf sich aufmerksam, als die Autoren Saskia Naescher und Alexander Junk den 2. Platz in der Kategorie „Produkt des Jahres" des Deutschen Rollenspiele Preises abgreifen konnten. 2007 erscheint die überarbeitete zweite Edition. Wir haben für euch einen Blick darauf geworfen!

Seiten voll Blut, Schmerz und Trauer

Das 432 Seiten starke, vollfarbige Buch beginnt mit einer Beschreibung der Welt. Kreijor ist der Ort des Geschehens, ein riesiger Kontinent, dessen Oberfläche von mächtigen Gebirgen, gewaltigen Wüsten, tiefen Urwäldern, endlosen Steppen und auch sonst allem gesäumt ist, was man sich wünschen kann. Und wohin man auch schaut, man kann getrost das Smallworld´sche Motto im Hinterkopf behalten: Dies ist eine Welt voller Hiebe. Verrat, Intrige, Krieg und Tod beherrschen Kreijor. Das freut natürlich den Rollenspieler; wer möchte schon Katzen von Dornenwald-Bäumen holen oder alten Frauen über verunische Straßen helfen.
Der Auslöser für das ganze Leid liegt Jahrtausende zurück, in der Zeit, in der Andeimos der Ketzer sich zu den Göttern aufschwingen wollte. Diese kamen seinem Wunsch nach. Sie schenkten ihm Unsterblichkeit, sperrten ihn aber im gleichen Atemzug in die abgelegene Onyxpyramide, aus der es unmöglich ist zu entfliehen, auf dass er auf ewig vor sich hinvegetiere. Irgendwie klar, dass er das nicht so auf sich sitzen lassen möchte. Also konsultiert er ein paar Dämonen, entfesselt die Macht des Arkanen Kodex und setzt kurzerhand die Welt in Flammen. Das war der erste große Kataklysmus. Nachdem das Gute so gerade noch mit dem Sieg davon kommen konnte, sieht Andeimos sich genötig, das Ganze ein paar Jahrhunderte später zu wiederholen. Das Ergebnis: der zweite große Kataklysmus.
Jetzt, nach so langer Zeit, sind die Narben der vergangenen Tage schon fast vergessen. Aber Gelehrte und Magier lassen sich nicht vom scheinbaren (relativen) Frieden täuschen. Sie spüren deutlich Anzeichen für eine große Erschütterung im Gefüge der Welt. Diagnose: Der dritte Kataklysmus naht.

Krieger des Lichts und der Schatten

In dieses präapokalyptische Setting wollen wir also unsere Helden entlassen. Aber dafür muss es selbige klarerweise erstmal geben. Nach der sehr schlanken Regelbeschreibung (gerade mal fünf Seiten) werden also die spielbaren Rassen vorgestellt. Neben Klassikern wie Elfen, Zwergen und natürlich Menschen finden sich auch exotische Vertreter intelligenter Völker wie Feen, Orks und Echsenmenschen. Insgesamt können die Spieler aus zehn Rassen wählen.

Und dann geht es an die geniale Charaktererschaffung. Natürlich kommt kein Rollenspiel ohne Fertigkeiten und Eigenschaften aus. Auch Vor- und Nachteile sind weiß Gott kein Novum. Was mir persönlich sehr wohl neu war, ist das Kampfschulensystem. Statt sich anfangs auf eine bestimmte Charakterklasse festzulegen, hat man bei Arcane Codex die Möglichkeit, seinen Helden wesentlich individueller zu gestalten, Kampfschulen lassen sich nämlich beliebig untereinander kombinieren. Wir haben also keinen Ikea-Charakter-Bausatz, sondern können uns nach Belieben austoben. Ein axtschwingender zwergischer Berserker, der zwischenduch einen Feind mit einem Feuerball brutzelt, ist somit überhaupt kein Problem. Auch eine Fee, die einen kleinen Drachen reitet und dabei ein Schwert aus Licht beschwört, ist im Bereich des Möglichen. Eigentlich ist alles im Bereich des Möglichen. 24 (!) Kampfschulen mit je zehn Stufen und etliche Magieklassen warten darauf, kombiniert zu werden.

Dass das Autorenteam viel Augenmerk auf gutes Rollenspiel setzt, lässt sich in diesem Abschnitt ebenso sehr erkennen. Zum einen dadurch, dass nicht nur strahlende Helden, sondern auch ziemlich widerwärtige Schulen vorhanden sind. Sogar das unheilige Verwandeln des Charakters in einen Untoten, Vampir oder Halbdämon ist machbar – und dann wird´s schon schwierig mit dem Gruppenfrieden. Zum anderen verpflichten sich manche Schulen einem strengen Ehrenkodex. Ein Verstoß dagegen soll (und wird ganz sicher) vom Spielleiter mit strengen Konsequenzen geahndet.

Rüstzeug für die Apokalypse

Weiter hinten im Buch findet sich die obligatorischen Ausrüstung. Auch hier beweist man Mut zur Innovation. Wer möchte kann seinen Charakter mit einem Cestus (ist ein Kampfhandschuh, das Wort hab´ ich vorher noch nie gehört) oder einer Kette mit Haken, genannt Mornabat, und noch weiterem Tötungswerkzeug kämpfen lassen.
Bei den Rüstungen ist auf die Belastung zu achten. Ein fetter Plattenpanzer schützt natürlich gut, aber darin eine schnelle Drehung zu machen, ist halt problematisch.
Natürlich gibt es auch eine Vielzahl magischer Gegenstände, die diverse Boni bringen.

Völlig irre ist die Anzahl der verfügbaren Zauber. Generell wird in arkane und klerikale Magie unterteilt. Arkane Schulen beziehen ihrer Macht aus einer anderen Sphäre des Seins, die Hexerei etwa aus der Unterwelt oder die Illusionsmagie aus dem Astralraum. Kleriker erhalten ihre Macht von der angebeteten Entität. So verschreibt sich ein Priester einer bestimmten Gottheit und profitiert dafür von ihren Aspekten, ähnlich bei Druiden und Schamanen. Ein Priester der Mondtänzerin Nialla wird zum Beispiel mit Zaubern der Aspekte Bezauberung, Heilung und Reise & Bewegung gesegnet.

Long story short – das Kapitel der Zauber umfasst beinahe 90 Seiten. Vollgestopft mit allem. Einfach ALLEM.

Das Los des Einen

Und dann ist da ja noch die Spielleitung, irgendjemand muss sich derer ja erbarmen. Auch für diesen Posten ist gesorgt. Das Grundregelwerk versorgt die Quelle des Schicksals, wie sie hier genannt wird, mit einem großen Kapitel gefüllt mit dramatischen Systemen wie Furcht, Krankheiten, Ruhm, Fallen usw. Außerdem gibt es ein eigenes Kapitel mit (wirklich guten) Tipps und Wissenswertem rund um Arcane Codex und das Spielleiten generell.

Spieletester

15.12.2013

Fazit

Wahnsinn, was Alexander und Saskia da ganz alleine (und als Erstlingswerk!) aus der Taufe gehoben haben. In nur einem einzigen und – für Rollenspielverhältnisse – nichtmal exorbitant umfangreichen Buch ist eine unglaubliche Vielzahl von Möglichkeiten verpackt. Allen voran ist da die Charaktererschaffung und -weiterentwicklung zu nennen. Durch das modulare Kampfschulensystem liegt alleine hier schon eine Vielfalt vor, die ihresgleichen vergeblich sucht. Die Autoren haben es allerdings nicht dabei belassen, auch Vor- und Nachteile, Fertigkeiten und Rassenauswahl warten mit allem auf, was das Spielerherz sich wünscht. Aber nicht nur das, als Untoter, Vampir oder Halbdämon wandelt man nochmal auf völlig neuen Wegen – eigene Vor- und Nachteile, bestimmte rollenspielerische Herausforderungen und ein komplett neues Spielgefühl inklusive. Ganz großes Kino ist auch die Beschreibung der Welt. Obwohl auf das Notwendigste beschränkt hat man hier nie das Gefühl, man wisse zu wenig über einen Ort – im Gegenteil: Aus jedem noch so kurzen Infotext springen einen die Abenteuerideen quasi an. Irgendwie hat man es hier geschafft, soviel zu erzählen, dass die Fantasie die Welt mehr oder weniger automatisch komplettiert, aber eben nicht so viel, dass keine Freiheiten mehr im Kreieren des eigenen Kreijor Platz haben. Das einzige zweischneidige Schwert ist das Kampfsystem. So einfach die generellen Spielregeln sind, so komplex sind jene für den Kampf. Ob es jetzt wirklich eine regeltechnische Entsprechung für umzingeln, entwaffnen, von oben angreifen und sonst noch alles mögliche geben muss, stelle ich mal in Frage – mir persönlich wäre es lieber, dort ein bisschen mehr auf das Improvisationstalent des Spielleiters zu vertrauen. Klar, keiner oktroiert einer Spielgruppe auf, alle Regeln auch beinhart einzuhalten (wie bei den meisten Rollenspielen wird sogar explizit darauf hingewiesen, dass man Arcane Codex ruhig den Bedürfnissen der eigenen Gruppe anpassen soll), aber wenn sie schon mal da sind... Aber das ist meckern auf verdammt hohem Niveau. Im Endeffekt kann, darf und will ich feststellen, dass Arcane Codex sich seinen Geheimtipp-Charakter mehr als verdient hat. Ein Spiel, das das Zeug für die oberste Rollenspiel-Gewichtsklasse hat. Kutos, Saskia und Alex! Kutos! Das Buch ist übrigens auch im PDF-Format erhältlich. In diesem Fall kostet es nur 15€ (Stand November 2013). Einen Link zu dieser Ausgabe findet ihr weiter unten.
Redaktionelle Wertung:

Plus

Minus

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Besucherkommentare

Hans Bach | 20.12.2013

Das Klischee hätten sie aber auch intelligenter, origineller und aufregender bedienen können. Das, was "Arklau Codex" dem erfahrenen Rollenspieler bietet, ist doch eher als peinlich zu erachten: eine wild zusammengeklaute Welt mit einem mäßig ansprechenden Regelsystem, dafür aber einer Autorengruppe, die allergisch auf Kritik reagiert und gegen sich selbst Genieverdacht hegt. Immerhin ist die zweite Edition aber ganz nett anzusehen.

Pogo | 12.05.2016

Die Bezeichnung "Arklau" von Hans Bach oben empfinde ich als mehr als nur Unfair, es ist schon lange nicht mehr möglich das Rad bei Rollenspielsystemen oder Welten neu zu erfinden ( selbst DSA ist in den Ursprüngen ein D&D-Klon), aber die Art wie die Autoren das Ganze aufgebaut, zusammengefügt und verpackt haben ist kurz gesagt echt schön. Eine harte, blutige Welt die für jeden (der nicht auf Happy-Rollenspiele steht) etwas zu bieten hat. Meine Hauptkritik wäre eher, dass es schon fast zu viel des Guten ist, aber da die Welt seeeehr groß ist verteilt es sich ja relativ gut, auch wenn eine Verteilung über mehrere Kontinente Sinn gemacht hätte. Kurz: Bis heute ein empfehlenswertes, vielfältiges System. P.S: Ich persönlich denke mit einem größeren Verlag in Rücken und als Englisch-Sprachiges System hätte ein Giant-Slayer draus werden können, der D&D und einigen anderen ganz schön auf die Pelle gerückt wäre.

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 2 bis 6
Alter: ab 14 Jahren
Preis: 45,00 Euro
Erscheinungsjahr: 2007
Verlag: Nackter Stahl
Grafiker: Patrick Soeder
Genre: Rollenspiel
Zubehör:

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