So, dann stellen wir uns also der entscheidenden Frage: Lohnt die 2te Edition den Kauf und macht sie vielleicht sogar die erste Edition endgültig unnötig?
Lasst es mich so formulieren: Diese Zweite Edition hat mich ernsthaft darüber nachdenken lassen, die 10/10/10er-Wertung des Originals nachträglich runterzusetzen (keine Angst, weniger als 8 wär’s nicht geworden.) Ich habe mich letztendlich dagegen entschieden, da die Rezension von
Descent eben dem Stand von 2005 entspricht. Und es ist ja nicht so, dass sich ein von mir heiliggesprochenes Spiel bei genauerer Betrachtung als fulminanten Gurke erweist – Hallo,
Arkham Horror. Es zeigt aber wohl, wie sehr diese Neufassung das Original überflügelte.
Und was hat das neue Autorentrio jetzt besser gemacht als Kevin Wilson im Alleingang?
Nun, kurz gesagt… ALLES:
Regeltransparenz: Ich habe es bereits erwähnt, ich weiß, aber ich reite gerne weiter darauf herum: Die ständige Erweiterei hat
Descent spätestens ab der Einführung der Halbaktionen zum regeltechnischen Kraftakt gemacht, der den Drang, alle Erweiterungen wieder hinauszuwerfen und nur noch die Boxen
Wege zum Ruhm und
Schrecken des Blutmeeres mit der Grundausstattung zu kombinieren immer attraktiver machte. Unser Autorentrio sah das offenbar ähnlich, hat das Wilsonsche Aktionssystem total über den Haufen geworfen und zielsicher das althergebrachte „2 Aktionen“-System eingeführt. Das Ergebnis ist einfacher, leichtfüßiger und in den jeweiligen Spielsituationen wesentlich flexibler. Ich sage es immer wieder gerne: Dass manche Ideen immer wieder kommen hat den einfachen und völlig unromantischen Grund, dass sie FUNKTIONIEREN!!!
Kürzere und schönere Dungeons: Für einen Dungeon der Ersten Edition musste man schon mal 3-4 Stunden einplanen (Fanszenarios aus dem Internet nicht mitgerechnet; die konnten schon mal die Ausmaße einer halben Nacht annehmen… oder die Sache war nach 10 Minuten gelaufen, weil man dem guten alten Igor aus den
Dork Tower-Comics Ehre machte: „In meinem Szenario gibt es 7 Orcs, 5 Gargoyle und 2 Drachen. Und im zweiten Raum dann…“). Jetzt prügelt sich der geneigte Spieler schon mal innerhalb von 45 Minuten durch einen Dungeon – die übrigens auch nicht immer Dungeons, sondern auch Dörfer oder Schlösser sind. Und da die 2te Edition immer 2 Dungeons kombiniert, KANN man so eine komplette Quest in 90-120 Partien beenden. Zudem leitet der Aufbau der Dungeons auch gleich zum nächsten Punkt:
Spielleiter spielt mit: Kevin Wilsons Regeln, mittels Karten den Spielleiter mehr einzubinden, waren löblich, haben funktioniert und brachten auch als Overlord Laune, doch die 2te Edition geht einen noch viel entscheidenderen Schritt weiter, indem sie dem Bösewicht eine AUFGABE gibt, die er zu erfüllen hat. Somit ergibt sich hier das angenehme Gefühl, dass nun zwei Parteien gegeneinander antreten, und der Overlord ist nun endgültig beim Status des „Mitspielers“ angekommen.
Übersichtlichkeit: Es ist ja schön, wenn jedes Monster, das dem Helden entgegen klettert, seine Spezifika hat und damit auf besonders individuelle Art und Weise auf die Nerven geht. Weniger schön ist es, wenn man diese aus mehrere Listen diverser Anleitungen (oder aus einen dicken Almanach, wenn man
Wege zum Ruhm besitzt) zusammentragen muss, um jetzt zu wissen, was GENAU der Formwandler jetzt eigentlich kann. Hier hat man den eigentlich naheliegenden Schritt gemacht und die Fähigkeiten des Monsters AUF DIE MONSTERKARTE geschrieben!!! Danke, Fantasy Flight. Ich schätze mal, das kollektive Spieleraufatmen hat man bis nach Roseville, Minnesota, gehört.
Spielbarkeit: Das Szenario wird aufgebaut und abgespielt. Das hat zwei Vorteile: Erstens ist das ständige Nachbauen weggefallen, zweitens aber (und das halte ich für viel wichtiger) können die Helden gezielter vorgehen, um ihr Ziel zu erreichen. Sicher, es verschwindet ein wenig der „was lauert wohl hinter der Türe“-Effekt, dafür kann man sich jetzt eine ordentliche Strategie oder Taktik zurechtlegen. Ob diese Planung im Einzelfall nur das Ersetzen des Zufalls durch den Irrtum ist, das zeigt die jeweilige Spielsituation.
Was den Kampf angeht: Für die (Wieder-)Einführung der Verteidigungswürfel bin ich versucht, Koniecka und seinem Team höchstpersönlich ein Dankesschreiben zu schicken. So gerne ich das alte
Descent auch hatte, aber das
HeroQuest‘sche Gegenwürfelsystem habe ich immer schon schmerzlich vermisst.
Womit ich hiermit beim Abspann angekommen wäre:
Es ist ein bisschen schade, wenn man eine komplette Edition eines Spieles mit den Ausmaßen von
Descent einmotten muss, aber es ist einfach so, dass dass das Original mit dieser 2ten Edition seine Notwendigkeit (und damit sich selbst) überlebt hat. Die Ironie dabei ist, dass
Descent ja ein
HeroQuest war, das sein Spielsystem der neuen Zeit angepasst hat, nur um 8 Jahre später an die neuen Spielerbedürfnisse - wie Regeleinfachheit oder angenehmerer Spiellänge - von sich selbst „wegangepasst“ zu werden. Naja, was soll‘s:
Der König ist tot. Lang lebe der König…
Das englische Original ist bei Fantasy Flight Games erschienen.