Die Akte Whitechapel

London, 1888: Im Distrikt Whitechapel, dem Rotlicht-Slum der Hauptstadt des Kolonialimperiums, treibt ein Serienmörder, der sich in seinen Briefen als "Jack The Ripper" bezeichnet, sein Unwesen. Er hat es dabei ausschließlich auf die Art Frauen abgesehen, die man als "die Unglücklichen" bezeichnet.
Da man damals noch nicht wusste, dass dieser Mann dereinst ein wichtiger Beitrag zur Popkultur werden würde, machen sich Scotland Yard sowie eine von dem radikalen Sozialisten George Lusk spontan zusammengetrommelte Bürgerwehr auf die Jagd nach dem Serienkiller... um ihn niemals zu finden.
(Theorien wie "Verschließen wir die Wahrheit und werfen wir den Schlüssel weg, schließlich ist der Mörder der Leibarzt der Königin / ein hoher Montague / ein Mitglied des Königshauses etc." werden wir jetzt einfach mal nach Kräften ignorieren.)

Eine solche Story liefert eigentlich eine Direktvorlage für ein schönes Fuchsjagd-Detektivspiel. Warum es bis 2010 gedauert hat ist eine Frage, die vielleicht größere Geister beantworten können, mir altem Detektivspieler jedenfalls lief dieses Spiel auf der Essener Messe 2009 unter dem Titel Funny Games in Whitechapel zielsicher vor die Flinte. Mein Versuch, das Ding lieber jetzt als gleich zu erwerben, stellte sich als chancenlos heraus: Sorry, nur ein Protoyp. Die Ankündigung, es werde erst 2010 veröffentlicht, hieß mich warten... und warten... und warten... bis zur 2010er-Messe. 
Am Event selbst: "Materialprobleme... sorry, Release ist verschoben." Sind die Geister der Opfer böse auf mich, dass ich dereinst ein „Jack The Ripper“-Cthulhu-Szenario geleitet habe? (Oder war diese Session dann doch ein zu viel?)

Inzwischen hat Die Akte Whitechapel aber doch noch den offenbar sehr mühsamen Weg in die Spieleläden der Welt gefunden, was natürlich bedeutet, dass ich sofort zuschlagen musste. Und nachdem ich das Ding VIERMAL falsch gespielt habe (was aber nicht an der recht guten Anleitung sondern ausschließlich am Antitalent vom Regelleser lag *ähem* *pfeif*) wollen wir jetzt einmal sehen, ob es die darin gesetzten hohen Erwartungen erfüllen kann:

Das Spiel:

Ein Spieler übernimmt die Rolle des Rippers, die übrigen Spieler sind Beamte von Scotland Yard auf der Jagd nach demselben (wär‘ ja auch albern, wenn Scotland Yard etwas anderes jagen würde, nicht?)
Die Idee von Die Akte Whitechapel sieht folgendermaßen aus: Jack The Ripper bestimmt zu Spielbeginn ein geheimes Versteck, zu dem er nach seinen Morden innerhalb einer gewissen Rundenzahl zurückkehren muss. Die Polizisten werden Hinweise suchen, um Jacks Wege zu rekonstruieren. Auf diese Weise sollten unsere Gesetzeshüter ungefähr auszuknobeln, wo Jacks Versteck liegt, und ihn dann auf der Flucht von einem seiner Tatorte zu erwischen oder ihm den Weg zu versperren.

Das ganze läuft in vier Nächten ab, und jede Nacht gliedert sich in zwei Abschnitte:


1. Die Hölle:

Jack The Ripper platziert seine potentiellen Opfer auf dem Plan. Die Polizisten ihrerseits verteilen geheim acht Polizeimarker in den Straßen von London. Drei davon sind Bluffmarker, fünf aber repräsentieren eine Bobby-Figur.
Jack The Ripper hat nun die Möglichkeit, seinen Mord bis zu fünf Runden lang hinauszuzögern. Das bringt ihm auf seiner Flucht zusätzliche Zeit, um das Versteck zu erreichen, und außerdem darf er sich die Marker der Bobbys anzusehen, um zu wissen, wo diese WIRKLICH ihre Runden drehen. So kann er schließlich in weiterer Folge ein Opfer auswählen, das sich in relativ polizantenfreier Zone aufhält.
Der Nachteil: Jede Runde, die der Ripper abwartet, ziehen die Detektive alle Opfer um ein Feld weiter, und das wird wohl eher nicht von den Polizeistreifen weg sein…


2. Die Jagd beginnt:

Wenn der Ripper den Zeitpunkt für gekommen sieht, wählt er eines der Opfer aus und legt einen Tatortmarker auf dessen Feld aus. In der dritten Nacht gibt es zwei Opfer (=die Nacht, in der der Ripper Elisabeth Stride und Catherine Eddows getötet hat). Hier zieht der Ripper von einem dieser Opfer los. Welches Opfer das ist, bleibt natürlich sein Geheimnis.
Der Ripper hat nun die Aufgabe, unentdeckt und innerhalb einer bestimmten Rundenzahl das Versteck zu erreichen. Dazu bewegt er sich in jeder Runde geheim ein Feld weiter und notiert alle Felder, die er auf seinem Weg passiert hat.

Zudem hat der Ripper auch noch Sonderzugmöglichkeiten:
- Mit der Kutsche darf der Ripper zweimal ziehen, und das noch dazu unbemerkt an einem Polizisten vorbei.
- Durch die engen Gässchen zwischen Londons Häuserblocks hindurch kann der Ripper auf ein beliebiges Feld durchschlüpfen, das an den entsprechenden Häuserblock grenzt.

Die Anzahl dieser Sonderzüge ist pro Nacht definiert… und mit jeder Nacht werden es weniger.

Nach jedem Zug des Ripper bewegen sich die Polizisten und dürfen nach ihrer Bewegung die umliegenden Felder durchsuchen. War der Ripper im Laufe dieser Nacht auf einem durchsuchten Feld, legt er einen entsprechenden Marker darauf. So sollten die Detektive herausfinden, in welchen Bereich des Planes der Ripper ständig flüchtet, und können so versuchen, ihm den Weg abzuschneiden oder ihn auf dem Heimweg festzunehmen.

Das Spiel endet, wenn entweder der Ripper vier Nächte lang ungefasst bleibt oder es den Detektiven gelingt, ihn festzunehmen oder seine rechtzeitige Rückkehr in sein Versteck zu verhindern.

Spieletester

29.06.2013

Fazit

Ja, also, auf die geistige Verwandtschaft zum Klassiker Scotland Yard muss man wohl wirklich nicht extra hinweisen: Die Akte Whitechapel ist genau die Fuchsjagd, die man erwartet, wenn man ein Detektivspiel mit Stadtplan als Spielfeld vor sich liegen hat. Doch wohl auch der älteste Scotland Yard-Fan (*hüstel*) wird zugeben müssen, dass dort ein Mister X, der nicht komplett lobotomiert spielt, für die Detektive kaum wirklich zu fangen ist. (Varianten wie NY Chase oder Mister X nicht berücksichtigt. Die Tatsache, dass ich sie im Schrank stehen habe, heißt nicht, dass ich sie schon ausreichend oft gespielt hätte….)

Wie aber sieht das nun bei Akte Whitechapel aus? Nun, anders als sein Kollege aus dem 20. Jahrhundert hat Jack The Ripper alle Hände und Hirnwindungen voll zu tun, seine Wege zu verschleiern und die lästigen Polizisten auf falsche Fährten zu locken. Da muss man schon mal einen ziemlichen Haken schlagen, so manche Kutschenfahrt bewusst im Kreis herumgehen lassen oder die engen Gässchen dazu nützen, die Detektive zu narren und schon mal auf ein Feld ziehen, das man auch ohne Bonus erreicht hätte. Dementsprechend ist Akte Whitechapel wohl sowohl für den Fuchs als auch für die knobelnden Detektive interessant(-er).

Für den Fall, dass den geneigten Detektiven /Serienmördern die Standardfassung nicht mehr genügt, legen unserer Autoren dem Spiel Varianten bei: Neben der Möglichkeiten für den Ripper, falsche Hinweise zu legen, baut eine Variante die berühmten Briefe des Rippers ein. Zwar fragt man sich, wie der „Dear Boss“-Brief, die „Saucy Jack“-Postkarte oder der „From Hell“-Letter die Bewegung der Figuren beeinflussen soll, aber werden wir uns beschweren, wenn es wunderbar thematisch ins Bild passt? Eben. (Zudem heißt das Spiel im Original schließlich Letters From Whitechapel….) (Die Theorie, die Briefe seien nur von einem Journalisten geschrieben worden, um die Story zu pushen - was unter anderem auch bedeuten würde, dass sich der Mörder den Namen eben NICHT selbst gegeben hat -, lassen wir dabei jetzt einfach außen vor.)

Gut, WER der Ripper denn nun wirklich war, erfahren wir auch in diesem Spiel nicht. Und das wird den einen oder anderen Ripperologen (und glaubt mir: Ich wünschte, ich hätte dieses Wort erfunden!!!) wohl missfallen. Nebensache: Die berühmte Schattenfigur durch Londons Straßen zu jagen (oder den nervigen Bobbies zu entkommen), macht mindestens so viel Spaß wie die Identität des Serienmörders herauszufinden. (*hüstel* Mr. Jack *hüstel*)
Redaktionelle Wertung:

Plus

Minus

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 2 bis 6
Alter: ab 16 Jahren
Preis: 30,00 Euro
Erscheinungsjahr: 2010
Verlag: Nexus Editrice
Genre: Deduktion
Zubehör:

1 Spielplan
6 Übersichten
35 Marker
12 Spielfiguren
1 Sichtschirm
1 Block mit Bewegungsblättern
27 Chips
1 Anleitung

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