Geschichten aus 1001 Nacht

Wir schreiben das Jahr 1985: Talisman und Dungeon (Verlies) feierten mit der Einführung des Missing Link zwischen Brett- und Rollenspiel rauschende Erfolge. Bis zum legendären HeroQuest, dem damaligen einsamen Genrehöhepunkt, dauert es noch vier Jahre, doch auf dem Weg dorthin liegt ein beinahe vergessener Klassiker, der - in den USA längst Kult - im deutschsprachigen Raum leider nur wirklichen Genrekomplettisten aus jener Zeit ein Begriff ist: Eric GoldbergTales of the Arabian Nights, im deutschsprachigen Raum unter den Titel Geschichten aus 1001 Nacht (un-)bekannt.

In diesem Spiel dürfen sich die Spieler eben als Helden der Märchen aus 1001 Nacht versuchen, und dafür hat sich Goldberg an einer besonderen Art des Rollenspieles orientiert:
Zu jener Zeit waren gerade die Spielbücher populär, deren Mechanik folgendermaßen aussah: Der Leser übernimmt die Rolle der Hauptfigur aus dem Roman, die Handlung wird erzählt, und an entscheidenden Stellen fragten die Autoren: "Willst Du die Türe öffnen, dann lies weiter bei Abschnitt 314. Wenn nicht, lies weiter bei Abschnitt 659." Einer ähnlichen Mechanik nahm sich Eric Goldberg für sein "Storytelling Game" an, und schuf damit ein Spiel, dessen Erfindungs-, Erzählungs- und Balancierungsaufwand ich mir gar nicht erst vorstellen will.

2009 legte Z-Man Games das Spiel im englischen Original neu auf, so dass auch der Genrefan von heute sich an diesem Klassiker erfreuen kann. Der deutschsprachigen Fassung der Edition Erlkönig aus dem Jahr 1999 ist da schon wesentlich schwieriger auf die Spur zu kommen…


Das Spiel:

Bereits aus der Einleitung lässt sich erahnen: Dieses Spiel hat eine Kernidee, einen einsamen Mittelpunkt, um den herum Eric Goldberg sein Spiel inszeniert hat. Dieser Kern ist selbstverständlich das Erzählen der Geschichte im Spielbuchstil, und das wird durch ein „Buch der Geschichten“ bewerkstelligt. Doch schön der Reihe nach:

Jeder Spieler übernimmt die Rolle einer der legendären Gestalten aus den Märchen von 1001 Nacht. Ali Baba läuft hier genauso herum wie Sindbad oder auch Scheherazade höchstselbst. Jede dieser Figuren erhält drei Fähigkeiten (die hier allerdings nur durch einen Namen repräsentiert sind) und wählt sich eines von drei Zielen aus:

> Der Spieler notiert geheim eine Kombination aus Geschichten- und Schicksalspunkten.
> Der Spieler beschließt, drei Quests lösen zu wollen, und zieht die erste Quest.
> Der Spieler beschließt, sein Glück als Händler zu versuchen. In diesem Falle muss er „sagenhaft reich“ werden.

In jeder Runde kann sich ein Spieler über den eine Landkarte des Bereiches Arabien/Nordafrika/Europa/Indien/China repräsentierenden Spielplan bewegen. Dieser Plan ist in Land- und Seefelder unterteilt, und je nach derzeitigem Vermögensstatus (von „bettelarm“ bis „sagenhaft reich“) darf der Spieler eine bestimmte Anzahl an Land- und Seefeldern ziehen.
Das Spiel beginnt und endet in Bagdad.

Am Ende seiner Bewegung muss ein Spieler nun von einem anderen Spieler eine passende Begegnungskarte fordern. Von diesen hält jeder Spieler bis zu fünf in der Hand, und diese geben mögliche Begegnungen an. Im Gegenzug erhält man eine sogenannte Schicksalskarte. Diese Karten enthalten eine Würfelliste, auf die man würfeln darf, wenn man sich in einer bestimmten Stadt aufhält.


Die Begegnungen:

Natürlich sind es die Begegnungen, die das Spiel definieren, und diese laufen folgendermaßen ab:
Der Spieler sieht auf der Karte, wem er begegnet oder was er findet. Ein Würfelwurf spezifiziert die Begegnung genauer. Man begegnet beispielsweise einer Prinzessin, und der Würfelwurf gibt an, dass diese „schön“ ist.
Auf einer speziellen Übersicht, der „Reaktionsmatrix“, kann der Spieler nun eine von mehreren Reaktionsmöglichkeiten wählen. So kann man die schon erwähnte Prinzessin zum Beispiel ehren, sie ignorieren, sie ansprechen oder – wenn man beschlossen hat, einen bösen Charakter zu spielen, was durchaus legitim ist – sie entführen. Die Reaktionsmatrix gibt nun einen Abschnitt im „Buch der Geschichten“ an, zum Beispiel 578. Damit man das Spiel aber nach einmal durchspielen nicht auf ebay stellen kann bestimmt noch ein weiterer Würfelwurf, ob diese Abschnittszahl gilt oder um 1 erhöht oder gesenkt wird. Den so gewählten Abschnitt liest man dem Spieler vor. So erfährt dieser, was er durch seine Entscheidung gewinnt oder verliert. Das Ehren einer schönen Prinzessin hat somit immer eine andere Auswirkung.


Die Fähigkeiten der Charaktere:
In vielen Fällen kann es dazu führen, dass der Text nach einer Fähigkeit fragt. Ob der Spieler diese Fähigkeit besitzt und auch einsetzt hat weitere Auswirkungen auf den Ausgang der Begegnung. Durch Begegnungen können diese Fähigkeiten auch auf „Meisterhaft“ gesteigert werden. Ab diesem Moment wird vor dem Wurf, der bestimmt, welcher Abschnitt letztendlich wirklich vorgelesen wird, nachgesehen, ob diese Fähigkeit in einem der drei möglichen Abschnitte gefragt ist. Wenn ja, kann der Spieler bestimmen, diesen Abschnitt spielen zu wollen.

Status:
In manchen Fällen erhält der Spieler durch Begegnungen einen sogenannten „Status“ wie zum Beispiel „Respektiert“, „Verletzt“ oder „Verheiratet“, der wieder spezielle Auswirkungen hat. Im Interesse der geistigen Gesundheit der Spieler sollte man sich darauf beschränken, nur einen Status zu haben bzw. ausschließlich „Verheiratet“ als Zweitstatus zuzulassen. Die Variante, mehrere Status halten zu können, geht sehr auf Kosten der Übersichtlichkeit und damit der Einfachheit des Spieles.
Status birgt zudem noch eine zusätzliche Möglichkeit, das Spiel zu gewinnen: Erhält man nämlich den Status „Sultan“, gewinnt man, wenn man nach Bagdad zieht und diesen Status eine Runde lang behält.


Spielende:

Sobald ein Spieler sein Ziel erfüllt hat oder „Sultan“ geworden ist, zieht er zurück nach Bagdad und muss dort eine Runde lang mit erfüllter Siegbedingung überstehen, um zu gewinnen.

Spieletester

21.12.2011

Fazit

So, das ist es also, das Missing Link zwischen Brettspiel und Spielbuch. Und, funktioniert es?
Die Antwort: Ein donnerndes „JA!!!“

Da die meisten Events in diesem Spiel aus dem „Buch der Geschichten“ stammen, können sich die Regeln angenehm kurz halten. Und das tun sich auch: Spielziele, eine minimale Bewegungsregel, eine Beschreibung, wie die Begegnungen abgehandelt werden: Fertig. Und die Befürchtung, dass sich das ständige Herumgeblättere im „Buch der Geschichten“ als Tangotanz auf den Nerven der Spieler herausstellen könnte, stellt sich als wunderbar falsch heraus. Einzig eine Anforderung sei an den Spieler gestellt, diese ist aber extrem wichtig: Ein einmal einigermaßen angespielter Charakter (und wie der aussieht kann man durchaus auch nach den Ergebnissen der ersten Begegnungen entscheiden) muss dann auch durchgehalten werden, wenn man ein einigermaßen vernünftiges Spiel zustande bringen will. Hat man sich beispielsweise entschieden, einen Seefahrer auf der Jagd nach Ruhm zu spielen, muss man mit seinem Charakter dann auch dementsprechend agieren. Wenn man versucht, einfach auf gut Glück alles auszuloten, was einem das Spiel bietet, führt das direkt dazu, dass Geschichten aus 1001 Nacht langweilig auf der Stelle tritt.

Damit wollen wir uns dem Vergleich zwischen Erlkönigs deutscher Version und der Neuauflage von Z-Man Games widmen: In Sachen Handling punktet hier eindeutig Z-Man Games: Tales of the Arabian Nights hat sich den Luxus geleistet, die Missionen mit vollem Text und Hintergrundgeschichte auf Karten zu drucken, die der Spieler vor sich ablegt, während man in der deutschen Fassung im Buch der Geschichten nachlesen muss, und dabei nur efährt, was man eigentlich sucht. Was das Buch der Geschichten angeht, so haben sich die Schreiberlinge von Z-Man Games die Mühe gemacht, ihr Englisch der arabischen Märchensprache anzupassen. Sehr löblich und stimmungsvoll, für Nicht-Native Speaker aber nicht immer ganz einfach zu verstehen.
Erlkönig aber gewinnt in Sachen Regeln: Z-Man bietet nur die Siegesvarianten „Sultan“ und „Geschichte- und Schicksalspunkte“. Die Missionen dienen ausschließlich dazu, diese Punkte zu erreichen, und die Variante „Händler“ inklusive nötigem Material gibt es nur als Download auf der Homepage anstatt sie – wie Erlkönig - dem Spiel beizulegen. Zudem findet man auch die Regel, dass man Begegnungen von den Mitspielern erhält, nur in der Erlkönig-Fassung, bei Z-Man Games zieht man die Begegnungen vom Stapel. Nun bieten viele Karten eine besondere Begegnung in einem speziellen Terrain an (etwa einen Glaspalast in der Stadt oder einen Löwen in der Wüste), die natürlich von den Spielern forciert werden, wenn man die Begegnungen ausspielt. Zieht man einfach die oberste Karte vom Stapel, fragt man sich recht schnell, warum sich die Schreiberlinge von Z-Man eigentlich diese Mühe gemacht haben.

Vor allem aus eben letzteren beiden Gründen empfehle ich die Erlkönig-Edition. Leider gibt's die nur noch als Restposten.
Redaktionelle Wertung:

Plus

Minus

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Besucherkommentare

Jester_dt | 22.12.2011

Als ich zu einer Partie 1001 Nacht eingeladen wurde, hatte ich schon viel darüber gehört und mich darauf gefreut es selbst auszuprobieren.

Und dann sowas. Die Möglichkeiten selbst Einfluss auf das Spiel zu nehmen sind minimal. Es gibt keine Lerneffekte, denn wasimmer man 1 mal "falsch" gemacht hat, kann das nächste mal goldrichtig sein.

Für jeden der ein Spiel sucht: Finger weg!
Für jeden der eine interessante Geschichte zusammendichten will: Zuschlagen

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 1 bis 6
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: 120 Minuten
Preis: 20,00 Euro
Erscheinungsjahr: 1999
Autor: Eric Goldberg
Zubehör:

2 Würfel
6 Spielfiguren
108 Spielsteine
120 Karten
6 Spielertafeln
1 Spielplan
1 Buch der Geschichten
1 Reaktionsmatrix
1 Marktplatz
1 Spielanleitung

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