7te See

Willkommen in der Welt der Fechtkämpfe und der Steinschlosspistolen.
Willkommen in der Welt der am Luster schwingenden und der auf Schiffstauen balancierenden Helden.
Willkommen in der Welt der maskierten, fechtenden Rächer, edlen Damen, fiesen Piraten, größenwahnsinnigen Kardinäle und fanatischen Inquisitoren.
Willkommen in der Welt, in der man seiner Herzensdame noch einen Kuss zuwirft, bevor man sich mit dem Seil aus dem Fenster schwingt und in der man sich von Schicksalshexen die Stränge des Schicksals lesen lässt, bevor man zur Rache schreitet.
Willkommen in der Welt, in der man raffinierte Intrigen spinnt, anstatt seinem Feind einfach nur einen Dolch in den Rücken zu stoßen. 
Willkommen in der Welt von Mantel und Degen.
Willkommen bei 7te See.


Die Welt:

7te See spielt auf einer Welt namens Théa, benannt nach dem Gott Théus. Théa ist, wie sich das Spielerhandbuch auszudrücken beliebt, zwar "kein Zwillingsbruder, aber zumindest ein entfernter Cousin Europas des Jahres 1668". Viele Dinge sind sehr ähnlich, in vielen Dingen ist Théa allerdings auch weiter, als wir es damals waren. So wissen Théas Ärzte beispielsweise, dass man sich vor Operationen die Hände waschen muss.

Théa besteht aus einem großen Kontinent, der von sechs Meeren umgeben ist. Die Seeleute erzählen sich aber auch von der legendären 7ten See: Hier sollen Sonne und Mond zugleich am Himmel zu sehen sein und das Meer soll zu Silber werden. Man kann dort tagelang unterwegs sein ohne Land zu sehen, und wenn man wieder in die "normale" Welt zurückkehrt, ist man unmöglich weit von dem Punkt entfernt, an dem man vorher war.
Den größten und für das Spiel wichtigsten Teil des Kontinents hingegen teilen sich sieben Nationen. Diese sieben Nationen sind den Nationen Europas nachempfunden: Avalon (=England), Castillien (=Spanien), Montaigne (=Frankreich), die Eisenlande (=die deutschen Fürstentümer), Vendel (=Skandinavien), Vodacce (=Venetien) und Ussura (=Russland).

Die offizielle Religion in diesen Nationen wird repräsentiert von der "Vaticinischen Kirche", die den Gott Théus anbetet und an "Vier Propheten" glaubt, von denen drei bereits hier waren. Wenn der vierte Prophet kommt, so der Glaube, ist das Ende der Welt gekommen. (Eigentlich schade, dass 7te See in den 1660ern spielt, sonst könnte man glatt das Jahr 2012 damit ausschlachten.) Geführt wird die Kirche eigentlich vom Hierophanten, doch der Letzte ist vor zwei Jahren unter mysteriösen Umständen gestorben. Den Kardinälen ist es seither nicht gelungen einen neuen Hierophanten zu wählen.
Neben dem Unglauben an und für sich und der Reformbewegung des Objektionismus bekämpft die Kirche allen voran die Magie. Ihr Hauptinstrument dazu ist die Inquisition, die vom dritten Propheten ins Leben gerufen wurde und nur dem Hierophanten Rechenschaft schuldig ist. Da es aber im Moment eben keinen solchen gibt, hat sie absolut freie Hand.

Im Südosten des Kontinents liegt zudem noch das Reich des Halbmondes, von dem die Théaner nicht mehr wissen, als dass sie Ungläubige sind und der Überlieferung nach den zweiten Propheten getötet haben. An der Ostgrenze Ussuras, gleichzusetzen mit dem Ende der Welt, liegt hinter einer Flammenwand das sagenhafte Land Gathay. Niemand weiß, was sich dort verbirgt (auch der Spielleiter nicht).

Jede Nation weist natürlich signifikante Eigenschaften und Ereignisse auf, die die Welt von 7te See gestalten:

>Avalon die Feeninsel ist neben den Menschen von einem Feenvolk, den "Sidhe" (gesprochen "Schie"), bevölkert.
>Castillien ist das Land der Fröhlichkeit und Lebensfreude, aber auch Sitz der Kirche, weshalb die Inquisition nirgendwo stärker präsent ist.
>Montaigne ist das Land der Kultur und des Prunks. Und sein König ist Hexenmeister und für die Kirche damit ein Ketzer.
>Die Eisenlande sind vom 30jährigen Krieg des Kreuzes verwüstet, doch sie schmieden die besten Waffen, haben das heißbegehrte "Dracheneisen" und stellen die besten Söldner Théas.
>Vodacce, ein Handelsimperium, ist eine Brutstätte des Aberglaubens, der Intrigen und des Bruderzwists.
>Vendel sind neben den Vodacce die größten Händler Théas, was zwangsläufig zu Problemen führt.
>Ussura ist das Land der eisigen Kälte, der rauhen Sitten und der grausamen Gerichtsbarkeit, das Besuchern das Gefühl gibt, 300 Jahre in der Zeit zurückgereist zu sein... und den Eindruck macht, das Land selbst sei lebendig.

Wie sich das gehört haben sich die Autoren natürlich eine Geschichte Théas geschrieben und aktuelle politische Ereignisse kreiert, um die Welt des Spieles lebendig zu halten: So hat beispielsweise der König von Montaigne sich als Magier proklamiert und zudem jedem Magier Théas Schutz garantiert, was den Kirchensitz-Staat Castillien erzürnte und zum Krieg führte... mit dem Effekt, dass der Westen Castilliens jetzt von Montaigne besetzt ist. Castillien selbst befindet sich im Würgegriff der Inquisition und wird zudem von einem schwachen, weil viel zu jungem König regiert, der ständig in Gefahr schwebt, von fiesen Intrigen aus dem Weg geräumt zu werden. Doch gibt es einen, der das Volk Castilliens beschützt: Der rätselhafte, maskierte Rächer "El Vago". Er schützt den König, bekämpft die Inquisition und will zudem den von Montaigne besetzten Westen Castilliens befreien.
Das sind nur einige wenige interessante Aspekte der Welt von 7te See. Diese Welt kennt zudem noch Geheimgesellschaften, Piratenbanden, die Relikte einer untergegangenen Kultur und andere Schelmereien.


Magie:

Théa kennt auch Magie, sehr zum Leidwesen der Vaticinischen Kirche. Doch darf man sich Théas Magie nicht wie in Spielen wie DSA oder D&D vorstellen, in denen der Magier die Hand hebt und schon schießen Blitze und Feuerkugeln durch die Luft. 7te See verwendet die Magie viel dezenter, viel eleganter und viel interessanter:

Die Magie fließt durch das Blut von Théas Adel. Dabei kennt abgesehen von Castillien und den Eisenlande jede Nation sein "Zaubererbe":

>Die Avalonier beschwören ihre eigenen Mythen. Man kann es sich in etwa so vorstellen: Hast Du einen schwierigen Bogenschuß vor Dir, rufts Du den Geist Robin Hoods an.
>Die Montaigne erschaffen Portale, mit denen in kürzester Zeit große Entfernungen zurückgelegt werden können.
>Die Vendel benützen geheimnisvolle Runen, deren Benützung aber nicht ganz ungefährlich ist.
>Vodacce kennt die "Schicksalshexen", die aus den Karten die Stränge des Schicksals lesen. Gute Hexen können auch versuchen, die Stränge zu beeinflussen, doch wenn das misslingt können die Folgen gelinde gesagt fatal sein.
>Magier aus Ussura schließen einen Handel mit Tieren ab: Das Tier erhält die Lebensspanne des Magiers, dafür erhält der Magier die Fähigkeiten des Tieres.


Das System:

7te See funktioniert nach dem Roll-&-Keep - System, das zum Beispiel Kennern des Horror-Steampunk-Westernspieles Deadlands bekannt sein dürfte:

Wenn es darum geht, eine Probe zu bestehen, würfelt der Spieler die Anzahl W10, die den Attributen und Fertigkeiten des Spielers entspricht. Die Attribute geben an, wieviele der Würfel gewertet (=addiert) werden dürfen, um den vom Spielleiter vorgegebenen Schwierigkeitsgrad zu erreichen. Würfe mit Wert "10" explodieren, d.h. der Spieler darf diesen Würfel nochmal würfeln und das Ergebnis zur gewürfelten 10 hinzuzählen.

Kommt es zu einem Kampf, gibt es außerdem noch den Initiativewurf (für Insider: Deadlands hat dasselbe mit Pokerkarten gemacht):
Jeder Spieler würfelt die Anzahl W10, die seinem Attributwert "Panache" entspricht. Die Werte dieser Würfe geben das Segment der Runde an, an dem der Spieler agieren darf. Das läuft so ab, dass der Spielleiter ansagt: "Alle mit einer 2 dürfen jetzt agieren."
Man darf diese Aktionen auch für später aufheben oder gegen Abgabe eines zusätzlichen Initiativewürfels vorziehen.

7te See kennt zudem noch den "Dramawürfel". Das sind Würfel, den jeder Spieler in der Hinterhand hält, um sie im entscheidenden Moment zu nützen. Für besonders tolle Aktionen ist der Spielleiter angehalten, dem entsprechenden Spieler Dramawürfel zu schenken.
(Ja, diese Idee hat Meister Kevin Wilson schon einmal verwendet, und zwar in Spycraft.)

Spieletester

06.07.2011

Fazit

Wer sich nach Théa begibt muss - wenn man wie viele Rollenspieler DSA- oder D&D-kontaminiert ist - einiges umdenken:
7te See spart sich das übliche "Du fängst als kleiner Bauer an und wirst irgendwann zum gefeierten Drachentöter"-Getue. Natürlich entwicklen sich auch die Charaktere in 7te See und erwerben Punkte und Fähigkeiten, doch prinzipiell einmal sind die Figuren HELDEN!!! Gerät man in Aventurien angesichts von fünf Trollen ins Schwitzen ("Oje, fünf Trolle, wir sind nur drei, was machen wir jetzt?") lautet der typische 7te See-Dialog: "Vor Euch stehen 10 Schläger." "Was, nur 10???"

Die logische Konsequenz: Wer hier nicht maßlos übertreibt soll sich ganz schnell schämen gehen. Nicht einfach "Ich schieße mit der Armbrust. *würfel*" macht dieses Spiel aus, hier gilt, je abgedrehter, desto besser:
Du willst Deine berittenen Feinde eliminieren, indem Du auf zwei Pferden stehst und jedem ein Messer in die Kutte rammst? Kein Problem. Du willst den Wanddteppich hochklettern, um auf die Balustrade zu kommen, auf der der Attentäter gerade flüchten will? Na aber sicher doch. Deine Belohnung soll sein, dass die holden Grazien, die du gerade vor einer spontan improvisierten Hexenverbrennung gerettet hast, die Nacht mit Dir verbringen? Ja, gerne. Verfolgt von den Schlägern des Bösen bist Du auf einer Opernbühne gelandet. Eine Oper ist ja bekanntlich erst dann vorbei, wenn die dicke Dame gesungen hat. Oder wenn einer der Helden sie seinen Häschern entgegenwirft... Sehr schön, dafür gibt's ein Dramawürfelchen.

Wer also ein Rollenspiel sucht das seine Welt bierernst durchzieht, ist bei 7te See mit schlafwandlerischer Sicherheit im falschen System gelandet. Hier geht's um die Übertreibung, hier soll alles Über-Drüber sein. Mantel und Degen eben...

Wer die Regelbücher und die zugehörigen Quellenbände einmal in Händen hält, wird dafür nicht nur mit schönen Illustrationen, sondern mit einer wunderbar erdachten Welt mit vielen schönen Geheimnissen und tollen Ideen (wie etwa dem Bestiarium, in dem jedes Monster für eine Todsünde steht) belohnt, die alle hier zu erwähnen den Rahmen sprengen würden. Leider aber liegen genau in den Büchern oft Probleme, die es am Anfang nicht immer ganz einfach machen, in die Welt einzutauchen:
Im Spieler- und Spielleiterhandbuch ging es den Autoren offenbar mehr darum, den Hintergrund der Welt aufzuzeigen anstatt die Regeln ordentlich zu strukturieren. Aus den Kapiteln jedenfalls, die Regeln und vor allem Charakterbildung beschreiben, werden vielleicht die Autoren schlau, beim normalen Spieler sorgt die völlig wirre Anordnung eher für Verzweiflung. Die nächste Ebene erreichte diese Wirrness, wenn man auch noch die Quellenbücher zur Hand nimmt. Erst hier erfährt man dann so nebenbei, dass man mittels Schicksalskarten Vorteile und Hintergründe umsonst bekommt oder Vorteile und Nachteile haben kann, wenn man zu speziellen Adelshäusern gehört. Wenn man so etwa von der deutschen Fassung von Cthulhu verwöhnt und ohnehin nicht der beste Regelleser ist (ahem) führt das alles gerne mal direkt in die Katastrophe.

Die Geschichte Théas und die Welt an sich ist dafür schön aufgezeigt, wenn auch hier so manche Info nicht dort steht, wo sie von Rechts wegen eigentlich zu finden sein sollte. So wäre es zum Beispiel durchaus angebracht, auch außerhalb des Montaigne-Quellenbuches zu erwähnen, dass Montaignes König Magier ist und sämtlichen Magiern Théas Sicherheit in seinen Grenzen verspricht. Dieser Akt hat immerhin Castillien dazu gebracht, Montaigne anzugreifen und in der Besetzung eines großen Teils Castilliens geendet. Die Erklärung "Kampf dem Ketzer" ist dabei leider nur wenig befriedigend, wie genau es zu dem Krieg kam wird im Kapitel "Die Geschichte Théas" schlichtweg verschwiegen.

Doch es lohnt sich, diese Hürden, die mit einigem Zeitaufwand sehr wohl zu nehmen sind, zu meistern: Rein spielerisch und auch weltenbautechnisch ist 7te See schlichtweg ein Meisterwerk. Wenn Jennifer Wick, Kevin Wilson und John Wick jetzt noch jemanden finden würden, der die Regeln übersichtlich aufbaut, gäbe es nichts zu bemängeln.
Redaktionelle Wertung:

Plus

Minus

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Details

Auszeichnungen:
Preis: 30,00 Euro
Erscheinungsjahr: 2000
Verlag: GAMES-IN
Genre: Rollenspiel
Zubehör:

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