Als Serienfan (wir sind eben damit groß geworden) nach ziemlich langer Wartezeit endlich wieder ein Final Fantasy einlegen, das hat was. „Ein Final Fantasy für Fans und Neueinsteiger” steht da am Bildschirm – klingt gut! Ohne große Umwege werden wir dann auch schon in die Story geworfen: Prinz Noctis Lucis Caelum, unser Protagonist, geht mit seinen getreuen Wachen auf eine Reise. Das Ziel ist seine Angetraute, Lunafreya Nox Fleuret, das Orakel. Die beiden sollen heiraten. Die Hintergründe der Hochzeit sind sehr politisch, denn die Heimatstadt von Noctis, Insomnia, ist einer der letzten Flecken Land, die noch nicht vom Niflheimer Imperium reagiert werden. Eine Hochzeit mit dem Orakel soll Frieden bringen. Aber es kommt anders: Kaum sind Noctis und seine Freunde Gladio, Prompto und Ignis aufgebrochen, wird Insomnia von Niflheim angegriffen. König Regis, also Noctis' Vater, stirbt, die Stadt fällt – an Frieden ist nicht mehr zu denken. Dafür an Vergeltung.
Ein für die Serie ungewohnt harter Einstieg. Und tatsächlich haben die Entwickler ihre Ansage wahrgemacht: Die Story von Final Fantasy XV ist düsterer als die der meisten anderen Serienvertreter, und sie ist geprägt von Rückschlägen und Verlusten. Beim Spielen selbst fällt das aber zunächst gar nicht so sehr auf.
Leide, Duscae und Cleigne
Mit dem Aufbruch aus Insomnia sind die vier Freunde nämlich an einem riesigen Spielplatz angekommen. Erstmals in der Geschichte von Final Fantasy liegt eine große Open World vor uns. Während das Startgebiet Leide anfangs noch ein wenig als Tutorial dient, sind die beiden angrenzenden Gebiete Duscae und Cleigne schon völlig frei begehbar, sobald wir sie freigespielt haben (was sehr schnell geht). Dreh- und Angelpunkt für unsere Reise durch besagte Welt ist das treue Gefährt der Reisegruppe, das Auto Regalia. Es stellt die schnellste Möglichkeit dar, größere Distanzen zu überwinden. Später können wir damit Parkplätze bei Zufluchtmöglichkeiten oder auch in der Wildnis als Schnellreisepunkte ansteuern. Später können wir uns dann auch auf einen Chocobo schwingen, um kurze Distanzen schnell zurückzulegen.
Sobald wir auf andere Menschen treffen und uns nur ein wenig umschauen, finden wir bald Quests, Quests und noch mehr Quests. Die Palette an Beschäftigungen ist nicht zu knapp: Dogtags gefallener Jäger suchen, selbst Jagdaufträge erledigen, einer Forscherin aushelfen, optionale Dungeons erforschen und und und. Langweilig wird uns lange nicht!
Auf unserer Reise wechseln Tag und Nacht dynamisch. Das hat Auswirkungen auf einige Quests, ist aber auch darüber hinaus relevant, denn die Nacht ist deutlich gefährlicher. Gerade zu Beginn des Spiels tauchen hier Monster auf, die teilweise deutlich über unserem Gruppenlevel liegen. Es ist daher oft ratsam, die Nacht in einem Hotel oder einer Zuflucht zu verbringen – auch noch aus anderen Gründen. Grundsätzlich wird Erfahrung, die wir gesammelt haben, erst dann auf die Charaktere übertragen, wenn sie sich ausruhen. Hotels haben den Vorteil, dass sie unterschiedliche Multiplikatoren auf die Erfahrung anwenden. Eine Übernachtung im Zelt bei einer Zuflucht lässt dafür Ignis Spezialtalent zum Vorschein kommen. Er kocht für die ganze Truppe, was danach zeitlich begrenzte Boni wie Extraleben, Magieresistenz oder Sprint ohne Ausdauerverbrauch bringt. Apropos Spezialtalente, auch die anderen Charaktere haben welche: Gladiolus' Überleben-Talent lässt ihn immer wieder nützliche Items finden, mit Noctis können wir Angeln gehen und Prompto hält das Abenteuer fotografisch fest. Bei jeder Übernachtung können wir besonders gelungene Fotos in ein Album transferieren. All diese Talente können auch aufgelevelt werden.
Anfangs wirkt all das etwas bemüht jugendlich-hip. Aber schon bald haben wir wirklich Freude mit dem Setting. Unsere Heldengruppe lebt, das merken wir an ganz vielen Ecken und Enden. Seien es belanglose Gespräche im Auto, Kommentare zu bestimmten Questevents – auch von Nebenquests – oder die Tätigkeiten beim Übernachten, wir können uns richtig gut in das Team hineinversetzen.
Trotzdem hat die Open World auch Schwächen. Zum Beispiel müssen wir immer wieder unser Auto auftanken, Chocobos müssen erst an bestimmten Stationen gemietet werden, es gibt keine Möglichkeit, auf die Nacht oder den Tag zu warten (außer man nimmt einen Jagdauftrag an, bei dem die Beute nur Nachts/Tags herauskommt)... Das sind unnötige Elemente, die nach einer Weile keinen Mehrwert mehr bringen, auch keinen atmosphärischen, sondern nur noch nerven. Hier merkt man, dass die Entwickler neu im Open World-Design sind.
Was hingegen sehr gut funktioniert, sind die Echtzeit-Action-Kämpfe, auf denen auch spielerisch der Fokus liegt. Zwar ist die Steuerung anfangs noch etwas gewöhnungsbedürftig, hat man sie einmal verinnerlicht, fühlt man sich aber schnell zuhause in den schnellen Auseinandersetzungen. Bald schon warpen wir uns gekonnt von Gegner zu Gegner, wechseln blitzschnell zu einer effektiveren Waffe und hauen noch einem weiter entfernten Gegner einen mächtigen Zauber rein, bevor wir uns aus der Hitze des Geschehens teleportieren, um erst mal wieder durchzuatmen. All das sieht dank gelungener Special Effects toll aus. Auch unsere Gefährten machen eine gute Figur im Kampf, die KI ist größtenteils gelungen. Nur sehr selten ärgern wir uns mal über einen unserer Freunde, wenn er gar nicht angreift oder sehenden Auges in einen Area Effect rennt. So selten, dass wir ganz gut darüber hinweg sehen können.
Nach Final Fantasy ist vor Final Fantasy
Während die Nebenbeschäftigungen genug Material für dutzende Stunden bieten, führt uns allerdings die rund zwanzig Stunden dauernde Story ungefähr nach der Hälfte in eine ganz andere Richtung. Tatsächlich verlassen wir die Open World an einer bestimmten Stelle. Wir haben zwar die Möglichkeit, jederzeit dorthin zurückzukehren, in der weiteren Story kommt sie ab dort aber nicht mehr wirklich vor. Die findet stattdessen in neuen, abgesteckten Gebieten statt – und nimmt richtig an Fahrt auf. Es wirkt ein wenig so, als wäre die erste Hälfte nur Vorbereitung für die zweite, in der uns die Großereignisse nur so um die Ohren pfeifen. Hier wird das Spiel wirklich ernst und emotional und die Handlung spitzt sich zu einem dramatischen Ende zu.
Allerdings ist es mit dem furiosen Finale nicht vorbei. Das Spiel bringt immens viel Content mit, der erst nach Abschluss der Hauptstory gespielt werden kann. Mehr Dungeons, stärkere Monster, neue Sidequests – wer möchte, kann jetzt locker nochmal so viel Zeit in Eos verbringen wie vor der Story!
Abwechslungsreiches Eos, karges Eos
Was passiert mit den technischen Parametern eines Spiels, wenn die Entwicklung zehn Jahre dauert? Können am Ende überhaupt zeitgemäße Grafiken stehen? Kann die Welt mit modernen Alternativen mithalten? Die Antwort lautet tatsächlich „Ja”. Sämtliche Videos, die man vor Release von Final Fantasy XV gesehen hat, haben bereits beachtlich ausgesehen. Auch das Endprodukt kann sich sehen lassen. Zur absoluten Topklasse der Grafik-Giganten gehört es zwar nicht, trotzdem gefallen uns Mimik, Lichtstimmungen und vor allem die umfangreichen Special Effects sehr gut.
Etwas anders sieht es da mit dem Design aus. Oberflächlich sind die drei Länder Eos' zwar gelungen abwechslungsreich, beim zweiten Blick offenbart sich allerdings, dass sie vor allem eines sind: leer. Parkplätze und Zuflüchte gibt es zwar immer wieder, zum einen sehen die sich aber auch bis auf wenige Ausnahmen extrem ähnlich und zum anderen passiert dazwischen einfach wenig. Beschäftigungsmangel gibt es nirgendwo zu beklagen, aber die optische Vielfalt bleibt dann doch ein bisschen auf der Strecke. Das gleiche bemerken wir bei den Dungeons: Sie sind von der Dramaturgie, vom Spannungsbogen wirklich sehr gelungen, aber abwechslungsreiches Design haben sie keines. Trotzdem wollen wir noch mal betonen: Das sind Dinge, die erst auf den zweiten Blick auffallen. Insgesamt sieht das neue Final Fantasy gut aus!
Was wirklich passt, ist der Soundtrack. Gewohnt klassisch, mal wuchtig, mal sehr sanft, unterstreicht der orchestrale Sound den Titel beinahe perfekt. Beinahe, denn hier hätten wir uns noch ein wenig mehr Anteil von ein paar älteren Melodien gewünscht, die für die Reihe ikonisch geworden sind, z.B. das bekannte Prelude. Auch die Sprecher machen ihren Job gut, die englische Sprachausgabe ist dann aber doch noch ein wenig natürlicher.
Von der Performance sind wir ebenfalls überzeugt. Wir konnten keine Clipping- oder Pop Up-Fehler finden, einen Absturz hatten wir ebenfalls nie. Nur die Framerate bricht immer mal wieder ein. Wer schon eine PS4 Pro besitzt, dürfte aber auch damit keinerlei Probleme mehr haben.
Fazit
Final Fantasy XV hat das geschafft – jedenfalls weitestgehend. Die beiden Gründe dafür sind Tradition und Innovation. Tradition, weil auch im 15. Teil der Serie an einigen Dingen festgehalten wird, die teilweise seit Teil 1 durchgehend dabei sind. Chocobos, Adaman Taimai, Beschwörungen, ein verschrobener Charakter namens Cid – all das trägt dazu bei, dass ich nicht anders kann als zu denken: „Final Fantasy, du hast mich wieder!”
Gleichzeitig bricht man mit einigen alten Systemen, das allerdings mehr die Spielmechanik betreffend. Das ganz große Ausrufezeichen ist hier die Open World. Außerdem sind die actionlastigen Kämpfe in Echtzeit so noch nicht vorgekommen, nach einer zugegeben gar nicht so kurzen Eingewöhnungsphase flutschen die hervorragend und machen richtig Spaß.
Trotz allem ist es am Ende nicht der erhoffte Toptitel geworden. Zu sehr merkt man, dass die Entwickler neue Wege gegangen sind: Die ungewöhnliche und anfangs lästige Steuerung, grundsätzlich unnötige und mühsame Elemente im Open World-Design und in der Schnellreise, die Story, die zugunsten der Action und – wieder – der Open World etwas mau ausgefallen ist, all das stößt mir irgendwie doch sauer auf.
Trotzdem hatte ich viel Spaß auf meiner Reise durch Eos. Die neuen Ansätze und die Mixtur mit alten Traditionen funktionieren grundsätzlich. Bitte mehr davon! Ich freue mich jedenfalls schon auf den 16. Teil, der, wenn er nur einige wenige Kinderkrankheiten ausmerzt, gerne der neuen Linie treu bleiben kann.
Redaktionelle Wertung:
Spieleranzahl: 1
Preis: 70 Euro
Erscheinungsjahr: 2016
Entwickler: Square Enix
Publisher: Square Enix
Erschienen für: PlayStation 4, Xbox One
Getestetes System:
PlayStation 4
Genre: Action-Rollenspiel
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