Rein physisch ist Yarny eine Puppe. Eine Puppe, die lediglich aus einem Drahtgestell, umwickelt mit einem einzigen, langen roten Wollfaden und zwei weißen Knopfaugen besteht.
Doch Yarny macht sich auf eine Reise. Eine Reise durch die schöne Natur Skandinaviens, auf der Suche nach Erinnerungen, die es zu sammeln gilt. Und so wird Yarny zu mehr; nämlich zu einem Symbol für das Band, das Familien verknüpft und zusammenhält.
Wir ziehen die Strippen
Während die Steuerung von Yarny selbst gar nicht so komplex anmutet, so lässt diese doch viele Möglichkeiten zu, die wir im Laufe des Spieles einsetzen müssen. Neben der für Jump and Runs wohl unausweichlichen Möglichkeit zu springen können wir einen Wollfaden als eine Art Lasso verwenden, um damit festgelegte Haltepunkte zu erreichen, die sich sonst außerhalb unserer Reicheweite befänden. Diesen Kniff können wir dazu nutzen, uns an bestimmten Punkten hochzuziehen, abzuseilen, herumzuschwingen oder Objekte an uns heranzuziehen oder zu transportieren. Außerdem können wir unser Garn fix mit besagten Haltepunkten verbinden und damit zum Beispiel Rampen oder Trampoline für Yarny basteln.
Und all diese Bewegungen sind nötig, um die hauptsächlich physikbasierten Rätsel für das weitere Vorankommen zu lösen.
Doch mit dem Garn heißt es hauszuhalten. Im wahrsten Sinne des Wortes, ist das eine Ende der für Yarny lebenswichtigen Wollschnur doch an sein Zuhause, also dem Ausgangspunkt unserer Reise gebunden. Und so kann es vorkommen, dass wir plötzlich anstehen, da Yarny komplett abgewickelt ist und nicht mehr weiterkommt. Da heißt es zurückwandern und an bestimmten Stellen womöglich andere Wege einzuschlagen oder Knoten wieder zu lösen, um mehr Schnur zur Verfügung zu haben. Zumindest bis zum nächsten Speicherpunkt, an dem uns ein Wollknäuel erwartet, dass wir uns wieder fröhlich um die Hüfte wickeln können.
Rätselhaft
Unravel legt schon früh fest, wohin die Reise gehen wird. Bereits im ersten Level werden uns sämtliche Rätselmechaniken nähergebracht, die uns dann im Laufe des Spieles in immer komplexer werdenden Kombinationen erwarten. So verschieben wir Kübel im Garten, um den Weg zu einer Blumenkiste frei zu machen, transportieren einen Holzwürfel quer durch eine Sandkiste, um ihn an deren Ende als Ausstiegshilfe verwenden zu können und reißen Unkraut aus, hinter dem sich ein Speicherpunkt versteckt. Wir spannen unser Garn zwischen zwei Äste, um uns damit weiter nach oben katapultieren zu können und fluten zur Überwindung einer Grube diese mit Wasser, nachdem wir Äpfel in sie gelegt haben, die wir als schwimmende Brücke verwenden.
In jedem Level sind außerdem fünf Geheimnisse - kleine Knopfblumen - versteckt, die wir finden können und für die wir uns meist noch kniffligeren Rätseln stellen müssen.
Atmosphärische Wucht
Wie schon eingangs erwähnt ist das Spiel so unglaublich hübsch, dass wir uns bis zum Abspann immer noch nicht daran sattgesehen haben. Wir starten im gemütlichen Haus einer alten Omi, das uns künftig immer als Ausgangspunkt dient. Wir durchstreifen die Zimmer auf der Suche nach Bildern, in dessen Motive wir dann eintauchen, um die dazugehörigen Erinnerungen einzusammeln. Diese wandern dann in ein Fotoalbum, das nach jedem Level um ein weiteres Kapitel bereichert wird. Diese Fotos zeigen selten spektakuläre Motive sondern bilden meist Familienmitglieder bei Wanderungen oder reine Naturaufnahmen ab. Diese wirken jedoch nie gestellt, sondern so, also würden Sie zufällig bei einer Familienwanderungen entstanden sein. Das gibt dem Spiel einen so persönlichen Touch, der es wohlwollend von anderen Spielen abhebt. Es wird das Gefühl vermittelt, direkt in ein Familienalbum zu blicken, das von einer unbeschwerten Kindheit am schwedischen Land erzählt.
Doch Unravel kann auch düster. Im Laufe des Spiels werden Themen wie Kindheit und Freunschaft, aber auch Angst und Verlust behandelt. Und das alles, ohne dafür (mit Ausnahmen der Poesiealben-Sprüche am Beginn jedes Fotoalben-Kapitels) Worte aufwenden zu müssen. Dabei unterstützt auch der Soundtrack, der vor allem von einer Violine getragen wird. Das trägt einiges zur melancholischen Grundstimmung bei, wirkt auf Dauer aber machmal ein wenig anstrengend.
Im Zusammenspiel mit den unterschiedlichen, wunderschön detailreich gestalteten Levels, die uns mal durch einen Wald, mal ans Meer, dann wieder durch eine Winterlandschaft oder sogar ein verseuchtes Industriegebiet schicken, werden wir vom ersten Augenblick in das Spiel hineingesogen.
Fazit
Schon bei der Vorstellung auf der E3 im Vorjahr war klar, dass Unravel ein sehr persönliches Spiel wird, in das die Entwickler sehr viel Herzblut gesteckt haben. Und das merkt man dem Spiel einfach an jeder Ecke und in jedem Moment an. Ohne die behandelten Themen tatsächlich auszusprechen oder die Geschichte in Worte zu fassen, vermittelt das Spiel zu jeder Zeit seine Botschaft. Und die ist eine von Familie, Freundschaft, von längst vergessen geglaubten Erinnerungen - ja, einfach vom Leben.
Die Rätsel sind vielleicht nicht immer die originellsten, doch selbst wenn sie das gerade mal nicht sind: Sie funktionieren, sind nie frustrierend und die Präsentation macht das allemal wett.
Unravel ist für mich persönlich das wahrscheinlich schönste Spiel, das ich je gespielt habe. Sowohl grafisch als auch emotional weiß das Spiel auf ganzer Linie zu überzeugen. Da bleibt nur zu hoffen, dass das Spiel der erwartete Erfolg wird und die Entwickler künftig an diesen anknüpfen können.
Redaktionelle Wertung:
Spieleranzahl: 1
Preis: 19 Euro
Erscheinungsjahr: 2016
Entwickler: Coldwood Interactive
Publisher: Electronic Arts
Erschienen für: PC, PlayStation 4, Xbox One
Getestetes System:
Xbox One
Genre: Jump & Run
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