Eine Karawane zieht langsam durch eine gezeichnete Schneelandschaft von links nach rechts über den Bildschirm. Ab und zu öffnet sich ein Fenster, man liest ein wenig Text und klickt dann auf eine von drei oder vier Auswahlmöglichkeiten. Meistens passiert dann nichts, und die Karawane zieht weiter. Ab und zu wechselt das Geschehen zu einer Mini-Arena, in der der Spieler in rundenbasiertem Kampf versucht, mit einer Handvoll gezeichneter Wikinger eine Handvoll gezeichneter Roboter ins Pixel-Nirvana zu senden. Damit es nicht langweilig wird, wechselt die Spieler-Ansicht immer wieder zwischen den beiden Karawanen hin und her.
Kann das Spaß machen? Die Antwort mag etwas überraschend scheinen, aber: Ja, es kann.
„The Banner Saga“ macht es dem Spieler nicht einfach. Das beginnt schon bei der Frage, für wen das Spiel eigentlich gemacht wurde. Es gibt Charaktere, die in ihrer Stufe steigen und besondere Fähigkeiten erwerben können, aber ein Rollenspiel ist es nicht wirklich. Es gibt rundenbasierte Kämpfe mit einigem Tiefgang, aber ein reines Strategiespiel ist es nicht. Mit dem Kickstarter-Projekt "The Banner Saga" hat der texanische Entwickler Stoic Studio ein sehr unkonventionelles Spiel auf den Markt gebracht, das sicher nicht jedermanns Geschmack treffen wird. Wer aber gewillt ist, sich auf einen ungewöhnlichen Genre-Mix einzulassen, der sich trotz einiger Ecken und Kanten wohltuend von den Standard-Konfektionen der großen Spiele-Schmieden abhebt, dem winkt als Belohnung ein ungewöhnlich atmosphärisches und packendes Spiele-Erlebnis.
Die Story
In einer kargen Welt aus Eis und Schnee – unzweifelhaft inspiriert von der nordischen Mythologie und dennoch erfrischend eigenständig – leben Menschen und die gehörnten Varl in einem brüchigen Frieden. Beide Völker werden von einem gemeinsamen Feind bedroht, den Dredge, mysteriösen Maschinenwesen, die aus dem Norden in die besiedelten Gebiete der Menschen und der Varl vorstoßen und alles vernichten, was sich ihnen in den Weg stellt. Herauszufinden, warum dies geschieht und dabei zu überleben, das ist die Aufgabe der Protagonisten der Handlung. Die Geschichte wird dabei aus der Perspektive zweier Gruppen erzählt, die sich aus unterschiedlichen Gründen aufeinander zubewegen. Die eine ist eine kampfstarke und gut versorgte Armee der Varl, die in Richtung der Varl-Hauptstadt unterwegs ist und den Kampf mit den Dredge geradezu sucht. Die zweite Gruppe umfasst die Bewohner eines Dorfes, die vor den Dredge fliehen müssen und – unterstützt von einigen wenigen Varl – täglich ums nackte Überleben kämpfen.
Jede Gruppe besteht aus einer Handvoll besonderer Charaktere, die in der Handlung in irgendeiner Form eine Rolle spielen, Kämpfern und Zivilisten. Beide Gruppen müssen sich während ihrer Reise mit den unterschiedlichsten Herausforderungen und Problemen herumschlagen. Der Spieler wird dabei permanent vor schwierige Entscheidungen gestellt. Soll man einen Umweg von ein paar Tagen in Kauf nehmen, um zusätzliche Lebensmittel für den Tross aufzutreiben? Soll man einen Kampf mit den Dredge riskieren, um möglicherweise noch ein paar Bewohner eines abgelegenen Dorfes zu retten? Wie soll mit Dieben und Plünderern verfahren werden? Wie schlichtet man am besten die immer wieder aufflackernden Streitigkeiten zwischen Menschen und Varl? Führt man die Kämpfe ohne Risiko vom Feldherren-Hügel aus und nimmt damit stärkere Verluste unter den einfachen Kriegern in Kauf, oder stürzt man sich mit seinen Charakteren selbst ins Schlachtgetümmel, mit dem Risiko, dass nicht alle lebend zurückkehren werden.
Dieses Karawanen-Management macht einen ganz wesentlichen Anteil der Faszination von "The Banner Saga" aus. Hier kann der Spieler die Bürde eines Anführers, der Entscheidungen treffen muss, wohl wissend, dass er oft nur die Wahl zwischen Pest und Cholera hat, unmittelbar erleben. Die Konsequenzen seiner Handlungen sind nicht immer nachvollziehbar, manchmal sind sie brutal oder sogar unfair. Da desertieren einfach so mal ein paar Dutzend Kämpfer, oder ein liebgewonnener – und brav hochgelevelter – Charakter stirbt ganz unvermittelt, ohne dass man etwas dagegen tun kann. Die Story zieht den Spieler dennoch immer mehr in den Bann, und er wird in der Regel feststellen, dass sich sein Führungsverhalten im Laufe der Handlung drastisch ändert. Während man zu Beginn noch heldenhaft Verwundete verarztet, Flüchtlinge aufnimmt oder einem angegriffenen Dorf zu Hilfe eilt, geht es später immer mehr einfach nur noch darum, durchzuhalten und den Tross weiter zu bringen. Nur noch einen Tag. Nur noch einen Kampf. Und noch einen Tag. Und noch einen Kampf. Doch es kommen immer mehr Dredge. Und jeder Tag wird härter.
Der Kampf
Wenn die Waffen sprechen müssen, dann wechselt das Spiel in die isometrische Ansicht einer schachbrettartigen Arena. Bis zu sechs eigene und gegnerische Charaktere treten gegeneinander an. Das Kampfsystem ist einfach, bietet aber eine enorme taktische Tiefe. Jede Einheit hat einen Wert für Rüstung und einen Wert für Angriffsstärke, der der Anzahl der Lebenspunkte entspricht. Sinkt die Angriffsstärke auf null, stirbt der Charakter. Bei einem Angriff hat man die Wahl, die Rüstung oder die Angriffsstärke des Gegners zu attackieren. Greift man die Rüstung an, so verursacht man, abhängig von den eigenen Kampfwerten, immer den gleichen Schaden. Greift man die Angriffsstärke (=Lebenspunkte) an, so verursacht man soviel Schaden, wie die Differenz zwischen eigener Angriffsstärke und gegnerischer Rüstungsstärke beträgt.
Klingt simpel. Aber ob man nun bei einem Gegner zuerst die Rüstung reduziert, um bei weiteren Angriffen mehr Schaden zu verursachen, oder lieber doch gleich die Angriffsstärke reduziert, damit die eigenen Einheiten im Gegenschlag weniger Schaden nehmen, muss wohl überlegt sein. Fernkämpfer haben eine Reichweite von mehreren Feldern, sind aber sowohl von der Rüstungs- als auch von der Angriffsstärke schwächer als Nahkämpfer. Während menschliche Krieger nur ein Feld auf dem Spielbrett abdecken, steht jeder Varl auf einem Quadrat aus vier Feldern. Damit spielt auch die Zugreihenfolge und das Blocken von gegnerischen bzw. das Schützen eigener Charaktere durch überlegte Bewegung eine wichtige Rolle. Zusätzlich verfügt jeder Charakter über Aktionspunkte, die für erweiterte Bewegungsreichweite, größeren Schaden oder eine Spezialfähigkeit genutzt werden können. Mit einfach drauf los klopfen kommt man da nicht weit. Die Kämpfe sind fordernd, und selbst erfahrene Taktiker werden das ein oder andere Mal auf einen gespeicherten Spielstand zurückgreifen müssen.
Grafik / Soundtrack
Geschmäcker sind nun mal verschieden, und der Grafik-Stil ist ungewöhnlich, aber "The Banner Saga" ist unbestritten ein wunderschönes Spiel. Jedes Bild ist sehr detailliert gezeichnet, und man sollte sich auf jeden Fall die Zeit nehmen, auch die Einzelheiten näher zu betrachten. Insgesamt wecken die Zeichnungen Erinnerungen an alte Walt-Disney-Filme oder Prinz Eisenherz-Comics. Ein absolutes Highlight des Spiels ist der epische Soundtrack von Austin Wintory, der im Vorjahr als erster Komponist überhaupt für einen Soundtrack eines Videospiels eine Grammy-Nominierung erhielt. Mit dramatischem Streicher-Einsatz und Wikinger-inspiriertem Gesang trägt der Score entscheidend zu der fesselnden Atmosphäre des Spieles bei.
Schattenseiten
Zugegeben, das ist nun Jammern auf hohem Niveau. Aber bei allem Enthusiasmus gibt es auch bei "The Banner Saga" ein paar Dinge zu bemängeln. Da ist vor allem einmal die Tatsache, dass man nicht frei speichern kann, sondern das Spiel automatisch bestimmte Speicherpunkte anlegt. Vom Konzept ist das durchaus verständlich, denn ein wesentlicher Teil des Spiele-Erlebnisses entsteht ja dadurch, dass man schwierige Entscheidungen treffen – und auch mit den Konsequenzen leben – muss. Wer also oft von einem alten Spielstand weiter spielt, nimmt dem Spiel unbestritten etwas von seinem Reiz. Aufgrund des recht fordernden Schwierigkeitsgrades bei den Kämpfen wird man aber manchmal einfach keine andere Wahl haben. Und dann muss man unter Umständen nicht nur einige Dialoge wiederholen, sondern auch bereits gewonnene Kämpfe nochmals austragen. Bemängeln könnte man auch die recht kurze Spielzeit von 15-20 Stunden und das nicht ganz befriedigende Ende. Dazu muss man jedoch wissen, dass „The Banner Saga“ eigentlich „The Banner Saga, Chapter One“ heißen müsste. Zwei weitere Teile sind noch geplant, ehe die Geschichte ihren Abschluss finden wird. Ein kleines Problem ist auch, dass die Ansicht des Schlachtfeldes nicht verändert werden kann, was es manchmal schwierig macht, Einheiten bzw. mögliche Wege zu erkennen.
Schließlich sei auch noch zu erwähnen, dass das Spiel nur über die Gaming Plattform Steam erhältlich ist. Derzeit nur in englischer Sprache, und aufgrund der starken Textlastigkeit sollte man schon sehr gute Sprachkenntnisse mitbringen, um die Story in allen Feinheiten genießen zu können. Eine deutsche Lokalisierung ist jedoch bereits für März angekündigt.