Tatort: Nachtexpress

Jeder, der die jüngste Spieleszene aufmerksam beobachtet, wird bemerkt haben, dass ein neues Genre gerade dabei ist, sein Haupt zu erheben: Das der „Einmal-und-Nie-Wieder-Spiele”, also Spiele mit einer fixen Geschichte, die man nur einmal spielen kann. Soweit ich weiß, haben diese Spiele die inoffizielle Genrebezeichnung „Legacy-Spieler” verpasst bekommen, benannt nach seinem ersten Vertreter Pandemic Legacy. Nachdem ebendieser sowie seine Nachfolger T.I.M.E. Stories und die Exit-Serie die Spieleszene durcheinanderwirbeln, möchte ich darauf hinweisen, dass es solche in den 80ern schon gegeben hat: Neben dem legendären Sherlock Holmes Criminal Cabinet, dass es 1985 Spiel des Jahres war, gab es auch einen Titel namens „Tatort: Nachtexpress”.

Die Story des Ganzen ist literarisch bekannt: Im Orient Express (übrigens der Originaltitel des Spieles) wird eine Leiche gefunden. Es gilt nun, den Täter zu entlarven. Dazu hat man 10 fixe Fälle in die Schachtel gepackt, konnte aber mittels Erweiterung (auch hier dürfte das Spiel ein Vorreiter gewesen sein…) noch 5 Fälle zusätzlich erwerben. Danach gingen den Autoren wohl die Ideen aus - oder es lohnte sich wirtschaftlich nicht mehr.

Also, dann werfen wir einmal einen Blick zurück in eine Zeit, in der ein Spiel einem Genre angehörte, das es noch gar nicht gab:

Das Spiel:

Der Spielplan entspricht dem Orient-Express, genauer gesagt zwei Waggons davon. In diesen Waggons halten sich neben (garantiert unschuldigem) Zugpersonal acht Verdächtige auf, von denen einer gegen das Opfer einen persönlichen Groll hegte und für dessen vorzeitiges Ableben sorgte. Doch wer war der Bösewicht?

Wer an der Reihe ist, würfelt und zieht in ein Abteil des Zuges. Befindet sich dort jemand, kann man ihn verhören. Man kann aber auch die Abteile durchsuchen.

Beides resultiert in derselben Aktion: Man zieht ein Kärtchen und liest den Text, der entweder eine Aussage oder das Ergebnis einer Durchsuchung enthält. Hat man in dem Zug eine 1 oder 6 gewürfelt, darf man den Text leise lesen, bei 2-5 muss man seine Mitspieler an den neuen Erkenntnissen teilhaben lassen. Aus den Texten dieser Kärtchen, die die Infos für den fixen Fall enthalten, sollte man sich die Hinweise zusammenklauben, die zum Täter führen. Kommt man mit seinen Ermittlungen gar nicht mehr weiter, darf man sich auch noch bis zu zwei Super-Tipps holen.

Als Timer für das Spiel fungiert die Zugfahrt selbst: Mit jedem Wurf einer 2-5 zieht der Zug in die nächste Station. In manchen Stationen kann man Telegramme anfordern, die Hintergrundinfos zum Opfer und zu den Verdächtigen liefern.

Kommt der Zug in Istanbul an, sollte man den Fall gelöst haben, sonst ist der Täter entkommen.

Spieletester

22.08.2017

Fazit

Als ich das Spiel in meinen jungen Jahren besessen habe, hat es mich mitten in meiner wildestens „Drei ???”-Phase und damit voll auf dem linken Fuß erwischt. Soll heißen: Ich habe ich es geliebt und hatte die 15 Fälle in Windeseile durch.

Rückblickend aber muss ich sagen, hält Tatort: Nachtexpress einer Überprüfung nicht stand. Warum? Das liegt, so leid es mir tut, an den Fällen … und auch am Mechanismus, wie diese abgefrühstückt werden.

Zunächst einmal ist herumziehen und Fakten von Kärtchen runterlesen nix, was mich vor Spannung an den Nägeln kauen lässt. Auch die Krücke, dass man beim Wurf einer 1 oder 6 leise lesen darf, hilft da nicht weiter, zumal alle Hinweise recht gut zu erreichen sind und man somit kaum einen echten Informations-Vorsprung hat. Es ändert sich für Gegenspieler nur die REIHENFOLGE der Hinweisaneignung, nicht der Hinweis selbst.

Was aber in meinen Augen viel schlimmer wiegt, sind die Fälle selbst: Ähnlich wie bei der Reihe Krimi total und Konsorten sind deren Schwierigkeitsgrade in zwei Gruppen unterteilt: Entweder es beschränkt sich auf „Finde den Verdächtigen  mit der richtigen Schuhgröße und Du hast den Täter“ (und nicht lachen: Diesen Fall GAB ES!!! Ich glaub‘, er hieß „Petit Fours“, jedenfalls ging es um einen mehligen Schuhabdruck in der Küche, den der Täter beim Vergiften von Teigwaren hinterlassen hat), oder die Auflösung war so um sieben Ecken gedacht, dass man schon Sherlock Holmes, Auguste Dupin und Adrian Monk in Personalunion sein muss, um auch nur einigermaßen dahinter zu steigen, was im Orient Express los war. Und wenn die Fälle eben entweder zu leicht oder komplett undurchschaubar sind … naja, lasst es mich so sagen: Meine letzte Krimi Total-Session liegt mehr als 5 Jahre zurück. Und sie fehlen mit nicht …

Ich muss abschließend hinzufügen, dass ich das „Einmal und nie wieder”-Genre generell nicht sonderlich schätze, und dieses Spiel ist daran nicht ganz unschuldig. Einmal durchgespielt und ein ganzes Spiel einmotten, ist ein Konzept, dass ich einfach nicht gutheißen kann. Und wie gesagt: Ich habe dieses Spiel als Kind GELIEBT … und irgendwann lag es in der Ecke und konnte nicht mehr gespielt werden, weil ich die Fälle alle durch hatte.

Nein, da bleib ich lieber bei Cluedo oder meinem persönlichen, ewigen Deduktionsliebling Inkognito. Spiele wie dieses können gerne bleiben, was sie sind:

Eine Erinnerung.

Redaktionelle Wertung:

Plus

Minus

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Besucherkommentare

Nick Knatterton | 08.09.2017

Finde solche Verrisse grundsätzlich nicht besonders fair - die alte Jugendliebe hätte meisstens später auch keine Chance mehr. Und der noch nicht so alte Nachfolger aus gleichem Hause scheint Dir ja noch nicht einmal bekannt zu sein, da er keine Erwähnung findet - und der hat eigentlich überwiegend positive Rezensionen, zB bei https://www.amazon.de/Jumbo-Spiele-3929-Greenrock-Village/dp/B001P2T170 oder auf den einschlägigen deutschsprachigen Rezensionsseiten für Spiele.

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 2 bis 6
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: 60 bis 120 Minuten
Erscheinungsjahr: 1987
Verlag: Jumbo
Autor: Jeff Smets
Genre: Deduktion
Zubehör:

1 Spielbrett
10 Kriminalfälle (mit Erweiterung 15)
1 Lokomotive
6 Spielfiguren
1 Block
12 Chips
1 Spezialwürfel
1 Anleitung

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