Manches dauert etwas länger – diese Rezension ist schon lange überfällig, ich gestehe es. Auch wenn ich nicht der Mega-Deckbau-Fan bin, gefällt mir dieser Mechanismus sehr gut, um nicht zu sagen, dass ich ihn genial finde, sofern er nicht als Selbstzweck im Vordergrund steht, was bei diesem Spiel nicht der Fall ist.
Es gibt Spiele, da schnappt man sich die Regel, liest munter drauf los (englisch wie in diesem Fall oder deutsch, völlig egal) – und andere, da legt man die Regel bald erstmal beiseite, fluppt irgendwie nicht so. Das gilt für dieses Spiel.
Nach einigen Anläufen entdeckte ich dann in der Regel den Hinweis auf das Online-Tutorial. Mal (endlich) schauen und (amerikanisch) hören – etwa sieben bis acht Minuten. Ach, so einfach ist das, und anscheinend recht spannend und interessant! Mit diesem Hintergrundwissen las sich auch auf einmal die Regel ganz anders, präsentierten sich die vielen Karten nicht mehr verwirrend und unübersichtlich, im Gegenteil. Noch etwas kurzregelmäßig aufbereitet – nicht wirklich nötig, aber das macht mir auch Spaß – und nun mussten nur noch die richtigen Spieler dafür gefunden werden. Das war nicht wirklich schwierig – schwierig ist nur, das die winzig gedruckten, wenn auch meist kurz und einfach gefassten Kartentexte dem Begriff „Augenpulver“ eine ganz neue Qualität verleihen. Ein krasser Produktionsmangel; Platz ist genug, und irgendwie kommen leider auch die phantastischen, tollen, wunderschönen Illustrationen aufgrund der geringen Größe nicht so recht zur Geltung. Verschenktes Potential!
Mit bereit gelegten Lupen, tatsächlich, zum Spiel. Normalerweise ergehe ich mich bei Spielvorstellungen nicht gerne in Details, kann das hier aber gerne tun, denn es sind erstaunlich wenige und die Schilderung sollte hoffentlich dem Verständnis dienen. Jede Karte nennt zwei „Rohstoffwerte“, die hier „Command“ (Befehl) und „War“ (Krieg) heißen, hat einen Stärke- und einen Lebenspunktwert und die Einsatzkosten (in Command und/oder War angegeben), gegebenenfalls noch eine besondere Fähigkeit (Text, Lupe!), die bei dieser oder jener Gelegenheit zum Tragen kommt. Insgesamt weniger als zunächst gedacht, aber wenn dann immer interessant und, falls zum richtigen Zeitpunkt benutzt, strategisch nützlich. Relativ viel Schmucktext erfordert auch die Lupe, so man ihn denn lesen will, ist aber für den Spielablauf unerheblich. Ich habe etwas gelogen – Ortskarten haben weder Stärke- noch einen Lebenspunktwert, aber dafür oft sehr interessante Fähigkeiten, vor allem für die Schlusswertung, und viele Siegpunkte; außerdem dienen die ersten Karten nur als Rohstofflieferant, haben auch weder Lebens- noch Stärkepunkte. In den ersten beiden Spielrunden kann man daher keine Karten einsetzen, sondern nur aus seiner eigenen Reserve sein Deck aufbauen, zumindest damit anfangen. Übrigens haben nicht nur Ortskarten Siegpunkte, sondern auch die Einheitenkarten, aber längst nicht alle und dann in geringerem Maße.
Vier Fraktionen bietet diese Grundspielpackung; pro Fraktion fünf sogenannte „Warcaster“ Karten, die Superhelden sozusagen (tatsächlich gar nicht mal so super), 12 reine Rohstoffkarten (s. o.) und letztlich sechs verschiedene, farbcodierte Kartenstapel. Drei seiner Warcaster Karten wählt jeder Spieler und drei dazu passend farbcodierte Stapel seiner Karten. Die Warcaster sind sozusagen doppelfarbig, wodurch sich viele Kombinationen ergeben können – interessanter Wahlmechanismus. Übrige Warcaster und Kartenstapel gehen für diese Partie zurück in die Schachtel.
Die drei gewählten Stapel werden gemischt, zusammen verdeckt als Verstärkungsstapel bereit gelegt, rechts davon vier als Reservekarten aufgedeckt. Daneben liegt der verdeckte Armeestapel (Nachziehstapel), zu Beginn nur aus Rohstoffkarten bestehend. Die drei gewählten Warcaster Karten jedes Spielers liegen auch offen vor ihm aus.
In der Tischmitte liegen so viele Ortskarten wie es Spieler gibt, außerdem der verdeckte Stapel der „Winds of War“ Karten. Zu Beginn jeder Spielrunde wird eine davon aufgedeckt, vorgelesen und gibt das „Gesetz“ dieser Spielrunde vor, eine Abweichung von den üblichen Regeln.
Details – also weiter damit, was ein Spieler in seinem Spielzug tut bzw. tun kann. Hat er zu Beginn seines Spielzuges an einem Ort mindestens zwei mehr Karten als jeder andere Spieler dort, erobert er diesen Ort. Die Karte kommt auf seinen Ablagestapel, bietet sofortige Vorteile oder meist später bei der Schlusswertung, liefert oft viele Rohstoffe (wenn später dafür gespielt) und immer viele Siegpunkte. Damit ist auch der Kern des Spiels genannt, nämlich durch die Eroberung der Orte überwiegend damit die meisten Siegpunkte zu erzielen. Die an einem eroberten Ort vorhandenen eigenen „Truppen“ (= Karten) kommen auf einen gesonderten „Besatzungstruppenstapel“, sind damit aus dem Spiel, aber zählen noch später bei der Schlusswertung. Die anderen Spieler an diesem Ort nehmen ihre Karten zurück auf ihren Ablagestapel.
Man kann seine Handkarte(n) an einen Ort spielen, wenn man die dafür erforderlichen Rohstoffkosten zahlt, sprich andere Handkarten auf seinen Ablagestapel legt. Dabei sind immer mögliche Fähigkeiten zu beachten, „wenn diese Karte zur Zahlung genutzt wird“ oder „an einen Ort gespielt wird“ usw. Die Lupe kommt zum Einsatz, aber letztlich doch nicht so häufig wie befürchtet, viele Karten haben auch keine besondere Fähigkeit. Man kann seine Reservekarten (die sofort nachgefüllt werden) seinem Ablagestapel hinzufügen, die entsprechenden Kosten zahlen: Deckbau eben. Und man kann seine Reservekarten zu deutlich höheren Kosten direkt an einen Ort spielen ohne den Umweg über den Ablage-/Nachziehstapel.
Zum Schluss des eigenen Spielzuges kommt es an den Orten, an denen Karten des aktiven Spielers und eines oder mehrer anderer liegen, zum Kampf. Einfach und effektiv – addierte Stärkepunkte eines Spielers können Karten mit gleich viel oder weniger Lebenspunkten des anderen Spielers oder anderer Spieler vernichten, das geschieht gleichzeitig. Vernichtet heißt nicht tot, sondern Ablagestapel. Auch dabei gibt es natürlich die eine oder andere Fähigkeit, um den Kampfausgang zu modifizieren. Zu diesem Zeitpunkt werden die Orte nicht erobert, siehe oben. Wer das nun in die richtige Reihenfolge bringt wird merken, welche strategischen Möglichkeiten sich da bieten – oder auch nicht, sehr ausgeklügelt und pfiffig. Einige wenige Details habe ich ausgelassen. Vielleicht davon noch erwähnenswert, dass man eine Karte auf seinen Besatzungstruppenstapel immer dann legen kann (aus dem Spiel, aber nicht aus der Wertung), wenn der Ablagestapel gemischt wird, um als neuer Armeestapel zu dienen. So kann man seine „Luschen“ etwas aussieben, die außer u. U. einige Siegpunkte beizutragen nicht viel können. Und trotz aller Nomenklatur ist das ganze Kriegsgehabe gar nicht so präsent, etwas aufgesetzt auf spannende strategische Optionen.
Mit nur jeweils sechs Handkarten, möglicherweise sieben, will gut überlegt sein, wie und wo man sie einsetzt bzw. benutzt. Die drei Warcaster eines Spielers können jeweils nur genau bei einem Kampf eingesetzt werden, sind dann aus dem Spiel. Dieses endet, wenn die Ortskarten nicht mehr nachgefüllt werden können oder die „Winds of War“ Karte es verlangt, so sortiert, dass dies nicht allzu schnell geschieht. Die veranschlagte Spielzeit von circa einer Stunde mag für mit diesem Spiel vertraute Spieler zutreffen, Anfänger brauchen mindestens doppelt so lange und können auch nicht überblicken, welche Warcaster-/Stapel Kombinationen die für sie besten sind, geschweige denn welche Fraktion überhaupt. Die „gefühlte“ Spielzeit ist allerdings sehr viel geringer und – trotz Lupe hin und wieder – spannend, interessant, fordernd. Deckbau mit mehr Brettspielcharakter als manche andere Spiele dieses Genres. Gutes Licht und Lesebrille lässt dann doch meist die Lupe unberührt, zumal es viele Karten öfter gibt (und man sie dann schon bald kennt), aber da gibt’s trotzdem deutlichen Verbesserungsbedarf. Strategie und Taktik spielen eine große Rolle – soll man den Mitspielern den Kampf um die Orte überlassen und dafür mehr eigene Reservisten anheuern, die in der Summe auch nicht wenige Siegpunkte beisteuern? Oder doch lieber Motto „hau drauf“, mit den richtigen Karten am richtigen Ort, genügend Stärke, genügend Lebenspunkten und mit trickreichen Fähigkeiten? High Command – das Oberkommando hat jeder Spieler selbst in der Hand.