Hat Meister Wilson es geschafft, dem Civ-Fan sowie dem typischen Aufbauspieler einen Höhepunkt geschrieben zu haben oder eine epochale Gurke fabriziert?
Nun, zu behaupten, dass
Sid Meier’s Civilization – The Boardgame ein Meisterwerk wäre, das seinesgleichen sucht und im Genre neue Maßstäbe setzt, würde bei allen, die das hier lesen, bewirken, dass die Erwartungen in Höhen geschraubt würden, die kein Spiel der Welt erfüllen könnte. Daher möchte ich mich darauf beschränken, dass sowohl Fans des Computerspieles als auch Aufbaustrategiespieler diese Rezension als amtliche Anweisung zur sofortigen Spielaneignung sehen sollten.
Für Kevin Wilson dürfte
Civilization zweifellos sein „erwachsenstes“ Spiel sein. In der Hinsicht erinnert seine Arbeit ein wenig an die Ludographie von
Vladimir Chvatil, der seine Fans mitten unter Fun-Spielen wie
Galaxy Trucker,
Dungeon Lords oder
Space Alert mit dem Monumentalepos
Im Wandel der Zeiten überraschte.
Das Spiel selbst ist schlichtweg großartig. Es hat alle Elemente, die so ein Spiel benötigt, um interessant zu sein, und die das Computerspiel zu dem Kulttitel gemacht hat, der es eben ist (also Handel, Erfindungen, Militäroperationen u. a.). Spieler der Vorlage finden sich sofort wieder, alle anderen werden das Spiel auch als SPIEL mögen (sag ich jetzt mal).
Was sehr dabei hilft, dieses Spiel der Zielgruppe uneingeschränkt weiterempfehlen zu können, ist die Tatsache, dass es KOMPLEX, aber eben nicht KOMPLIZIERT ist.
Civilization hat VIELE, aber ausnahmslos EINFACHE (und nebenbei auch LOGISCHE) Regeln, weshalb der Lernprozess wesentlich kürzer abläuft als man erwarten möchte. Besonders hervorheben möchte ich hierbei das Stichkartenspiel, dass Wilson in diesem Spiel als „Kampfsystem“ untergebracht hat, besonders aber die Entwicklungspyramide – einfacher KANN man es nicht machen!!!
Abstriche muss man leider ein wenig beim Material machen, was sehr verwundert wenn man bedenkt, dass Fantasy Flight Games mit Spielen wie
Twilight Imperium oder
Descent in Sachen Material sonst Maßstäbe setzt. So fallen die Spielertafeln für die einzelnen Völker unangenehm auf: Die Anzeiger, die die derzeitige Anzahl der Münzen und Handelspunkte eines Volkes anzeigen, sind richtigerweise aus hartem, schön gestalteten Karton, werden aber auf Tafeln befestigt, die aus dünnem Papier gefertigt sind. Ich bin mal gespannt, wie lange die Dinger da drauf halten. In meiner Fassung des Spieles war zudem noch eines der Löcher zu groß, wodurch der Anzeiger auf meiner „Romans“-Tafel jetzt fröhlich herumwabert. Ist sicher optimal für das Material. Schön wäre zudem auch eine Leiste gewesen, in der die Spieler festhalten können, wie viele Handelspunkte man in jeder Runde fix bekommt (also die Art Leiste, die Vladimir Chvatil in
Im Wandel der Zeiten vorexerziert hat).
Die Erweiterungen: Sie waren unvermeidlich, boten sich an und kamen so sicher wie das Amen in der Kirche: Die offenbar inzwischen gesetzlich vorgeschriebenen Erweiterungen. Nun leben wir inzwischen in einer Zeit, in der nur noch erweitert wird um des Erweiterns willen. Als üblen Effekt werden dadurch viele erweiterten Spiele länger, komplizierter und umständlicher, aber nicht besser.
Bin
Sid Meier‘s Civilization ist das Gegenteil der Fall: Prinzipiell gibt es in jeder der beiden Weiterführungen natürlich die obligatorischen neuen Völker, Wunder, Spielplanteile (inzwischen auch mit speziellen Orten wie etwa Atlantis) und Technologien. Zudem bietet man Regelvarianten an, die man ins Spiel integrieren KANN, aber nicht MUSS (etwa der Möglichkeit, Vorteile mit Münzen zu kaufen oder der Gesellschaft einer Zivilisation eine bestimmte Richtung wie etwa militärisch, pazifistisch oder religiös zu geben, was im Grunde wie eine zweite Regierungsform funktioniert). Vor allem aber in den üblichen Zusätzen und Überarbeitungen ist Kevin Wilson prinzipiell einen sehr angenehmen Weg gegangen und hat den Erweiterungen Karten zugefügt, die das Spiel merklich BESCHLEUNIGEN anstatt es zu verlängern:
So bietet die Box
Ruhm und Reichtum (
Fame and Fortune) die Technologie Ackerbau (Agriculture) an, die es erlaubt, die Hauptstadt auf zwei Felder auszudehnen. Logische Folge: Die Hauptstadt hat nicht nur mehr Bauplätze, sie baut auch mehr Ressourcen ab.
In Box 2 mit dem Titel
Weisheit und Kriegskunst (
Wisdom and Warfare) hat Wilson die Regierungsformen überarbeitet. Unter anderem bewirkt die Startregierung „Despotismus“ einen zusätzlichen Abbau von einem Ressourcenpunkt pro Runde. Und wieder gewinnt unser Völkerentwickeln an Geschwindigkeit und Dynamik.
Bleibt nur noch die Frage offen, warum zumindest „Ackerbau“ nicht schon im Grundspiel vorhanden ist. Ich will jetzt mal an das Gute in Kevin Wilson glauben und annehmen, dass er diese Idee erst hatte, als das Grundspiel schon in den Läden stand.
Das englische Original ist bei Fantasy Flight Games erschienen.