Das Jahr des Spieletest Teams besteht aus zwei Highlights: Dem Erstkontakt mit den nördlichen Nachbarn und dem Schneiden eines Intros für unsere Videoclips. Sogar bei den Verlagen hat man bereits erkannt, dass wir eigentlich ausschließlich deshalb auf die Messen fliegen, um coole Intros drehen zu können. Das wir auch noch Berichte und Reportagen schreiben ist eine eher lästige Nebensache ;).
Das diesjährige Intro war gut geplant, hat sich dann jedoch als Zombie Movie herausgestellt. Daher verwundert es nicht, dass Oliver, als unser jüngstes Teammitglied, ein Kuscheltier in Form eines hinternlosen Hendels von zu Hause mitgebracht hat, um sich nächtens nicht alleine zu fürchten. Ein Blick in Oliver´s Reisepass wirft zudem die Frage auf: Wer war zuerst da – der Oliver oder das Huhn?
Eigentlich ein Wunder, dass man ihn mit diesem Pass noch hat einreisen lassen: Denn das Foto war bei der Ausstellung des Dokuments vor fast 10 Jahren schon hoffnungsfroh veraltet: Zwischen Fotoaufnahme und aktuellem Alter unseres Nesthäckchens liegen 15 Jahre. Sieben mehr, und aus dem Reisepass hätte eine uns eine gut gelaunte Eizelle entgegen gelacht.
Für die Einreise nach Deutschland hat es jedenfalls gereicht. Auch wenn sich die Reise selbst zwar als unbeschwerlich, am Mietwagenschalter jedoch – wie jedes Jahr – als etwas verwirrend herausstellte: Mit einem auf Arno lautenden Vertrag, dem Führerschein von Wilfried und der Kreditkartensicherung von Christoph wusste die Dame von Avis nicht recht, wer denn nun tatsächlich das Auto bekommen sollte. Ohne viel Gezeter löste Sie das Problem und wir kurz darauf die Handbremse, um Richtung Rommy Schneider zu rollen.
Solltest Du vermuten, dass selbige längst in der Kaisergruft ihren Körper den Bakterien als Dessert zur Verfügung zu stellen pflegt, so hast Du zwar auf den ersten Neuronenzünder recht, der zweite Gedankengang hingegen führt nicht in die kaiserliche Abstellkammer sondern zu einer extrem liebenswerten Dame im Ruhrpott, deren mehrgeschossiges Eigenheim für die kommenden vier Tage das unsrige werden sollte. Als Dank hierfür haben wir sogar original Wiener Sissi Tee als Gastgeschenk mitgebracht.
In der Straße unserer Unterkunft angekommen, erwartete uns ein angsteinflößendes, lautes Knurren, das von einem grazil die Straße auf und ab schleichenden Schatten herrührte. Vorsichtig näherten wir uns dem knurrenden Vieh, das sich bei näherer Betrachtung als Gerhard herausstellte, der mit hungrigem Magen sehnsüchtig unserer harrte. Mit ihm war das sechsköpfige „Team Alpha“ nun endlich vollständig. Und ich muss gestehen: Der Deutsche erwies sich außer zum Semmeln holen am nächsten Morgen auch anderwärtig durchaus als hilfreich.
Als Semmelholer war Gerhard jedoch unschlagbar: Am ersten Tag wollte Ingrid diesen Job übernehmen – im Zuge einer morgendlichen Joggingrunde mal kurz bei Aldi vorbeilaufen und die Backwaren mitbringen. Leider fiel das Frühstück fast aus, denn die Dame hatte sich im Park verlaufen. Deshalb übernahm Gerhard forthin diesen Auftrag. Begleitet wurde jedes Frühstück dann mit Deutsch – Österreichisch Diskussionen, wobei wir auch auf das Fugen-S zu sprechen kamen. Adventskalender und Schadensersatz sind in Österreich schlichtweg nicht üblich. Zu meinem Erstaunen auch in Gerhard´s Heimat nicht. „Man sagt ja auch nicht Schubslade.“
Arno, der Kopf der Bande, hielt sich aus diesen Diskussionen raus und zog das in der Küche stehende Bett dem mit Laptöppen gedeckten Tisch vor. Er war dieses Jahr ganz generell entschieden entspannter als sonst. Er war sogar „so chillig, dass Ingrid über ihr drübersteigen wollte“. Zumindest im Auto, wo sie den lümmelnden Chefredakteur nicht wecken wollte. Immerhin waren wir froh, dass er überhaupt im Auto saß. Denn es dauerte mehr als 5 Sekunden und zwei Hinweise, bis er folgerichtig schloss, dass das Auto, an dessen Türen er rüttelte, deswegen nicht auf ging, weil es nicht das unsere war. Auch sonst legte er eine bemerkenswerte Ruhe an den Tag: Dass die alljährlich vergessene Zahnbürste auch diesmal wieder ihren Aufenthalt in Wien bevorzugte, bemerkte er erst nach zwei Tagen.
Vielleicht wollte die Zahnbürste auch deshalb nicht mit nach Essen, weil Sie gesiezt werden will. Doch hier werden alle geduzt, belehrte uns der Oberkellner in einem sehr ansprechenden Lokal, dass seiner Stammesbezeichnung gerecht wurde und primär lokale Spezialitäten offerierte: Nesthäkchen Oliver (ja, der mit dem Reisepass) meinte: „Wieso duzen sie mich?“
Kellner: „Weil wir hier alle Duzen – das ist hier so üblich. Wie bei Ikea.“
Arno: „Mich haben Sie aber gesiezt.“
Kellner: „Oh – entschuldige!“
Generell war der Kellner sehr angetan von Oliver. Begonnen hat es mit einer Spätzlepfanne, die der tschechische Lockenkopf geordert hatte. Gut 40 Minuten nach der Bestellung kam der Kellner mit der bedauernden Entschuldigung: „Es scheitert weder am Käse noch am Huhn. Aber die Spätzle sind aus. Nudeln kann ich Dir anbieten.“ Unwählerisch wie Oliver ist, geht er auf den Deal ein. Während links und rechts die Kollegen am Tisch gerade ihre frische Portion Spätzle serviert bekommen.
Dafür kommt seine Portion dann mit den Worten: „Hier ist die Spätzlepfanne, die keine ist“.
Dennoch glücklich von der exzellenten Speise ordert Olli noch gebackene Äpfel als Dessert. Keine zehn Minuten später erscheint der Kellner: „Wer von Euch hat die Äpfel die bestellt?“ Als Olli aufzeigt schlägt die Servicefachkraft die Hand vor´s Gesicht:
„Nicht schon wieder Du!“
Nach einer kurzen Pause setzt er fort: „Die Äpfel hab ich, aber der Backteig ist aus.“
Dafür gibt es ein anderes Dessert aufs Haus, während ich mich meiner bestellten Mini Mouse hingebe. Nun gut, es war eigentlich ein „Mini Mousse au chocolat“, doch wie das Foto beweist, konnte man mit etwas Fantasie und einer Serviette durchaus Entenhausen in die Speisestube holen. Da der delikate Schokoladehaufen ohne Kaffee nichts taugt und auf der Karte tatsächlich ein „Espresso“ zu finden ist, wage ich es, mich der deutsche Kaffeekultur auszuliefern und bestelle einen „doppleten Espresso“.
Diesmal war ich das Opfer des Kellners: „Espresso ist leider aus. Aber Kaffee kann ich Ihnen (?!) anbieten.“
„Was genau ist der Unterschied zwischen Kaffee und Espresso?“, wollte ich wissen.
„Den Espresso machen wir indem wir die Bohnen mahlen und das mit heißem Wasser übergießen.“
„Und den Kaffe?“
„Da nehmen wir andere Bohnen, die wir mahlen, und mit heißem Wasser übergießen.“
„Wäre es dann möglich, dass Ihr einen Kaffee im Espresso Style macht?“
„Das geht schon. Ist dann aber kein Espresso.“
Das Risiko ging ich ein und tatsächlich servierte eine Kollegin kurze Zeit danach – Zitat – „Ein[en] Kaffee, wie ein Espresso zubereitet, der aber keiner ist, weil die Espresso Bohnen aus sind.“
Es war übrigens der beste Kaffee, den ich in Essen je getrunken habe.
Apropos Kaffee: Auch Gerhard lernte das Wort „Kaffee“ richtig auszusprechen und verzichtete somit auf den bisher konsumierten „Kaffe“. Allerdings wurde diese Umschulung von einer auffälligen Begleiterscheinung überschattet: Jedes Mal wenn er zum „e“ kam, wurde er um gut 10 Zentimeter größer, um Stimme samt Körper gebührlich anzuheben.
Es tut mir leid, aber ich finde keinen besseren Übergang zu Boney M als den Kaffee. Und Boney M, die musikalischen Helden meiner Kindheit, zu erwähnen, muss an dieser Stelle unbedingt sein. Denn nicht nur, dass ich erfahren habe, dass es heute insgesamt vier Gruppen dieses Namens gibt – jedes der Mitglieder der originalen Gruppe hat eine neue Gruppe um sich aufgebaut und tourt mit dieser unter dem alten Bandnamen durch die Lande – nein, ich habe auch die Managerin von einer davon kennen gelernt. Wobei „kennengelernt“ ist wohl übertrieben. Maureen kenne ich seit Jahren als fuchsige und geniale Spieleautorin. Doch im Frühjahr hat sie bei einer Kreuzfahrt eine der Sängerinnen getroffen, sie zu ihrem 70. Geburtstags eingeladen (womit sie Boney M auf ihrer Geburtstagsparty spielen hatte), schnell mal Orgel spielen gelernt und managt jetzt die Sängerin, schreibt die Musik der neuen Songs und bringt Anfang 2013 das erste Album namens „Unblocked“ auf den Markt. Das nenne ich eine rüstige Blitzkarriere. Auf das Geheimnis ihres Erfolges angesprochen meinte sie nur: „I just do what I want.“ Und ab ging es zurück nach Spanien, in das größere der beiden Tonstudios.
Wir hingegen mussten (besser: durften) noch hier bleiben und uns einen – zugegebenermaßen kleinen – Bruchteil der insgesamt zwei Tonnen (!!) bei Zoch eingelagerten Bananen in den Magen stopfen. Der Verlag hatte, passend zu seinem neuen Game Banana Matcho, diese krummen Gelblinge in Massen feilgeboten. Erst nach drei Tagen kam mir der Gedanke, dass diese auf den ersten Blick gesunde Ernährungsweise (aber was ist denn schon gesund?!) schuld an der niedrigen Frequenz an den Toiletten sein könnte. Einen Platz am Lokus zu bekommen war dennoch nicht so leicht. Denn hier musste ich zum ersten Mal entdecken, dass man in Essen unter einer „Klofrau“ offensichtlich etwas anderes versteht als in Wien: Beschwingt betrat ich die Anstalt für Verdauungsabscheidung, Abteilung „Maskuline Ausscheider“, als mir aus offener Kabinentüre die Dame entgegenlachte, in afrikanisch akzentuiertem Gewand, voll bekleidet auf der Keramik sitzend, den Wischmob in der einen Hand, die andere hingebungsvoll auf dem Schoß ruhend.
Schlussendlich endete jedoch auch unsere Visite in der Hauptstadt des Spielens und wir bewegten uns mit auf und über uns geschlichtetem Gepäck Richtung Flughafen, wo wir von den Gewichtsvorteilen eines Gruppen-Checkins profitieren wollten.
„Geht das?“, fragte Arno.
„Ja, aber nur einzeln. Und einer muss in der Nähe sitzen“, lautete die etwas verwirrende Antwort.
Wir schafften es tatsächlich uns nach mehrmaligem Bitten in das Fluggerät zu transferieren und absolvierten einen recht entspannten Flug. Zumindest bis die Anschnallzeichen aufleuchteten. Denn das beunruhigte die etwa 3-jährige Janine, die genau zwischen Arno und mir saß, so sehr, dass sie uns die letzten 20 Minuten bis zur Landung mit einem das gesamte Flugzeug füllenden „maaamaaaa“, „wähmäh“, „iiiiii“, „haahheee“, „ihawaaaamaa“, „eihihaaa“, „nahaaaeiiinmaaaa“, „neeeeeeiiiiiiin!“, „maaaamaaaaneeeeinn“ und „winwaaaa“ versüßte, um nur einige der Aussagen wörtlich zu zitieren.
Unterbrochen wurden die von Mutter und Vater ohne Winpernzucken unkommentiert hingenommenen, an der Grenze der Bark-Skala liegenden Ausführungen, nur von allzeitlich einsetzenden Hustenanfällen. Doch hatte das Ganze auch sein Gutes: Denn so konnte man das Quietschen der Flugzeugkabinendecke nicht hören. Zudem wurde wenige Minuten vor der Landung hinter uns ein Gegenpol aktiv: Umso mehr Janine weinte und schrie, umso ausgiebiger lachte das etwa ein Jahr jüngere Kind hinter uns.
Nun wäre wohl ein Glas Tee angebracht gewesen. Zum entspannen. Aber den hat ja jetzt die Sissi.