Dieser Artikel beleuchtet anhand des Spiels Poker den Unterschied zwischen Geschicklichkeitsspielen und Glücksspielen und räumt mit der Fehleinschätzung auf, dass Spiele entweder das Eine oder das Andere sein müssen.
Jeder der schon einmal ein wenig Poker gespielt hat, wird festgestellt haben, dass das Spiel definitiv eine ausgeprägte Glückskomponente hat. Wenn man genau die Karte trifft, die man braucht, um den Gegner zu schlagen, hat man eben Glück gehabt und der Gegner Pech. Wer sich mit einem passionierten Pokerspieler unterhält, wird unausweichlich Geschichten über große spielentscheidende Glücksmomente hören – große Erfolge und Niederlagen scheinen dann immer an der einen Karte und dem Mitspiel von Fortuna gelegen zu haben. Da könnte man schnell vermuten, dass Erfolg beim Poker nur mit Glück zu tun hat.
Schaut man sich auf der anderen Seite jedoch die erfolgreichsten Pokerspieler der Welt an, stellt man fest, dass es am Ende irgendwie immer die selben Spieler sind, die besonders viel Glück haben und in den entscheidenden Momenten die richtigen Karten halten. Es kann nicht nur mit Glück zugehen, dass einige Spieler substantiell besser abschneiden als andere – es gibt beim Pokerspiel definitiv auch eine Geschicklichkeitskomponente.
Halb Geschick, halb Glück?
Vielleicht ist Poker zur Hälfte Glücksspiel, zur anderen Hälfte Geschicklichkeitsspiel? Dies ist immerhin eine Einschätzung, die plausibel erscheint.
Viele Spielbewertungen ordnen die Glückskomponente von Spielen auf einer linearen Skala an. Dabei stünde dann ganz links ein Spiel wie Schach. Beim Schach zählt nur Strategie und Können und das Spiel hat gar keine Glückskomponente. Rechts stünde dann ein Spiel wie zum Beispiel Roulette. Bei diesem Spiel gibt es keine Geschicklichkeitskomponente und das Ergebnis des Spiels beruht ausschließlich auf Glück.
Auf dieser linearen Skala könnte man Poker in der Mitte einordnen. Das Spiel benötigt definitiv mehr Geschick als Roulette, kommt aber mit einer sehr viel höheren Glückskomponente als Schach daher.
Man könnte nicht nur Poker, sondern praktisch alle Spiele auf dieser Geschick-Glück-Skala anordnen. Scrabble wäre etwa 80% Können, 20% Glück; Codenames zu 60% Können, zu 40% Glück, Monopoly zu 40% Können und zu 60% Glück; und so weiter.
Das Einordnen von Spielen auf einer Skala von Viel-Geschick-Wenig-Glück bis zu Wenig-Geschick-Viel-Glück klingt plausibel. Aber man tut den meisten Spielen unrecht, wenn man so tut, als würde eine Glückskomponente dafür sorgen, dass weniger Geschick nötig ist, um das Spiel zu meistern. Gleichzeitig ist ein Spiel nicht automatisch ein anspruchsvolles Spiel bei dem viel Geschick verlangt wird, nur weil es ohne Glückskomponente wie Würfel oder Kartenziehen auskommt.
Um das zu Verstehen betrachten wir zwei andere Spiele:
Würfelschach
Würfelschach gibt es nicht wirklich. Das Spiel haben wir uns nur ausgedacht. Würfelschach funktioniert genauso wie normales Schach, doch nach dem Spiel wird ein Würfel geworfen. Zeigt er eine Sechs, wird der Verlierer zum Sieger erklärt. Bei diesem fiktiven Spiel hat selbst der schlechteste Schachspieler eine realistische Chance, zu gewinnen. In einem von sechs Fällen gewinnt er dank des Würfelwurfs. Dieses Spiel hat eine Glückskomponente und muss auf der Geschick-Glück-Skala ein Stück nach rechts geschoben werden.
Gleichzeitig aber hat sich an den Spielregeln im Vergleich zu Schach absolut nichts geändert. Es ist also sehr schwer nachzuvollziehen, warum dieses Spiel auf einmal weniger Geschick benötigt als normales Schach. Das Spiel ist nicht einfacher und immer noch genauso komplex wie normales Schach. Insofern wäre es eindeutig falsch, dem Spiel Würfelschach eine geringere Geschicklichkeits-Komponente beizumessen als regulärem Schach.
Nim-Spiel
Werfen wir jetzt einen Blick auf das Nim-Spiel. Dieses Spiel funktioniert wie folgt: Zwei Spieler treten gegeneinander an und es liegen 20 Streichhölzer auf dem Tisch. Abwechselnd kann jeder Spieler zwischen einem und fünf Streichhölzer wegnehmen. Wer das letzte Streichholz nimmt, hat das Spiel verloren.
Das Spiel hat für den ersten Spieler eine sehr einfache Strategie: Er nimmt stets so viele Streichhölzer, dass danach noch 19, 13, 7 oder 1 Streichhölzer auf dem Tisch liegen. Sein Gegner kann dieses Spiel dann nicht gewinnen.
Ist dieses Spiel ein Glücks- oder ein Geschicklichkeits-Spiel? Es gibt bei diesem Spiel definitiv keine Glückskomponente. Egal, was der Gegner macht, der erste Spieler kann immer so spielen, dass er gewinnt. Das Spiel hat keine Glückskomponente, also muss es auf der Geschick-Glück-Skala ganz links als reines Geschicklichkeitsspiel eingeordnet werden. Aber das Nim-Spiel als Geschicklichkeitsspiel zu beschreiben, ist absurd. Die Sieg-Strategie ist für jeden halbwegs mitdenkenden Spieler so trivial, dass es bestenfalls eine sehr geringe Geschicklichkeits-Komponente haben kann. Tatsächlich ist dieses Spiel weder Glücks- noch Geschicklichkeits-Spiel, was bei der Einordnung des Spiels auch dargestellt werden muss.
Sowohl Glück als auch Geschick
Nim-Spiel und Würfelschach sind beides Spiele, die sich nicht auf der Geschick-Glück-Skala einordnen lassen. Die eindimensionale Skala von Viel- Geschick-Wenig-Glück bis zu Wenig-Geschick-Viel-Glück reicht nicht aus, um diese Spiele abzubilden und sie reicht auch nicht aus, um Poker und viele andere Spiel korrekt einzuordnen.
Spiele können sowohl eine Glückskomponente als auch eine Geschicklichkeitskomponente haben. Entsprechend sollte man jedes Spiel auch abbilden und bewerten. Am einfachsten geht das, wenn man Spiele nicht mehr eindimensional auf einer Geschick-Glück-Skala positioniert, sondern zweidimensional. Eine solche Einordnung könnte etwa so aussehen:
Je weiter rechts ein Spiel angeordnet ist, desto mehr Geschick braucht man, um das Spiel zu meistern und je weiter oben das Spiel angeordnet ist, desto mehr spielt Glück bei dem Spiel eine Rolle. Wir haben hier ein paar Spiele einsortiert und ihnen Glück- und Geschicklichkeitskomponenten beigemessen.
In diesem Raster kann man jedes Spiel einsortieren. Spiele sind nicht entweder Glück oder Geschick, sondern können durchaus sowohl Glücksspiel als auch Geschicklichkeitsspiel sein – so wie Poker. Oder sie sind weder das eine, noch das andere, so wie das Nim-Spiel.
Mit dieser Einordnung wird man vielen Spielen wesentlich gerechter als mit einer einfachen Geschick-Glück-Skala. Insbesondere Poker ist ein Spiel, das in der öffentlichen Wahrnehmung in der Regel als fast reines Glücksspiel angesehen wird. Es stimmt auch, dass Glück bei dem Spiel eine wichtige Rolle spielt. Aber gleichzeitig hat Poker eine sehr strategische Komponente. Im Laufe der Jahre wurden hunderte Poker-Strategie-Bücher verfasst und insbesondere beim Online Poker um hohe Beträge gewinnen langfristig vor allem die Spieler, die besser sind und härter trainieren als ihre Mitspieler. Deswegen sollte man dieses Spiel auch als Geschicklichkeitsspiel betrachten, ähnlich wie Schach oder Scrabble.