Zur Einstimmung auf das Spiel ein kleiner geschichtlicher Exkurs: Der indische Subkontinent im 14. Jahrhundert zur Zeit der Mogul-Dynastie. Während seiner Regierungszeit beginnt der Großmogul Akbar die im Kernland der Dynastie gelegene Stadt Agra auszubauen und verhilft ihr somit zu einer Blütezeit in Kunst und Kultur. Das imposante und berühmte Rote Fort kündet dort noch heute davon und wurde vom Illustratoren Michael Menzel auch auf dem Spielplan verewigt.

Zu diesem Zeitpunkt entlässt der Autor Michael Keller die Spieler in das Geschehen. Der Geburtstag des Großmoguls steht bevor und an seinem Hof werden die Feierlichkeiten vorbereitet, anlässlich derer aus allen Gebieten des Subkontinents Persönlichkeiten nach Agra strömen, um dem gottgleichen Akbar zu huldigen. Die bis zu vier Spieler verkörpern Grundbesitzer, denen der mit dem geplanten pompösen Fest einhergehende, stark erhöhte Bedarf an Rohstoffen, Waren und Luxusgütern sehr zu passe kommt. Hier bietet sich die einmalige Chance, nicht nur schnell sehr viel Geld zu verdienen, sondern sich auch auf lange Sicht die Gunst der Handwerks-Gilden und natürlich auch des Großmoguls zu sichern.

Vor einer Partie gilt es aber erst einmal mit dem wunderschönen und in großer Menge vorhandenen Spielmaterial das Spiel vorzubereiten und sich in die Spielregel einzuarbeiten. Letzteres ist nicht so einfach, da auf das einfache Regelgrundgerüst eine Vielzahl von kleineren Zusatzregeln aufgepfropft wurde. Diese im Kopf zu behalten, Neulingen zu erklären und zur entsprechenden Zeit auch richtig anzuwenden ist recht schwierig. Auch das teilweise notwendige Nachschlagen in der allerdings sehr ausführlichen und vorbildlich illustrierten Spielregel gestaltet sich schwierig, da deren Struktur recht unorthodox ist. Wegen der vorgenannten Gründe sollte für eine umfassende Erklärung der Spielregel speziell für Neulinge mindestens eine Stunde eingeplant werden.

Jeder der Spieler startet mit einem eigenen Hoftableau. Können die Spieler im Spiel anfangs nur die auf ihren jeweiligen Hoftableaus eingestellte Menge der vier Grundwaren produzieren, stehen schon bald darauf die ersten neu errichteten Gebäude auf dem Spielplan zur Verfügung. In diesen können die Grundwaren weiter verarbeitet werden. Aber Vorsicht! Die Weiterverarbeitung erfolgt nicht immer linear sondern in einer Baumstruktur. Hier sind also oftmals Entscheidungen notwendig, in welche Ware weiter verarbeitet werden soll. Die erschaffenen Waren werden dann entweder direkt an den Hof des Großmoguls oder zu den anreisenden Persönlichkeiten geliefert. Als Lohn erhalten die Spieler neben allgemeiner Gunst auch spezielle Gunst der Gilden, die Unterstützung der belieferten Persönlichkeiten in Form von deren speziellen Eigenschaften, sowie Rupien, die in Agra als Siegpunkte fungieren.

Das Spiel selbst läuft rundenweise solange ab, bis eine von drei möglichen Siegbedingungen erreicht ist. Jede dieser Runden ist in drei Phasen untergliedert: Die Meditationsphase, die Aktionsphase und die Auftragsphase. Während die erste und die dritte Phase freiwillig von den Spielern in Anspruch genommen werden können, muss die Aktionsphase in jedem Fall ausgeführt werden. Während der Aktionsphase stellt der Spieler einen seiner Arbeiter auf ein bereits errichtetes Gebäude, um die dortige Verarbeitungsfunktion auszulösen oder besucht den herumreisenden Baumeister, um das dortige weiterverarbeitende Gebäude zu errichten. Er kann seinen Arbeiter aber auch zu einem der vier Hauptcharaktere (Architekt, Schiffer, Händler und Botanikerin) stellen, um so deren Fähigkeiten in Anspruch nehmen. Steht auf einem Zielfeld schon ein Arbeiter eines anderen Spielers, so erhält ihn dieser zurück und zusätzlich eine gewisse Anzahl an Gunst. Mit der Aktivierung eines Grundgebäudes kann der Spieler Grundwaren gemäß den Einstellungen auf seinem Hoftableau produzieren. Aktiviert er hingegen eines der bereits errichteten weiterverarbeitenden Gebäude, kann er entsprechend der vorgegebenen Baumstruktur Waren weiterverarbeiten. Mitspieler, die an den betreffenden Orten ebenfalls schon Waren positioniert haben, können auf den Zug aufspringen und eine dieser Waren weiterverarbeiten. Interessant und überaus wichtig im Spiel ist es in jedem Fall, sich die Dienste der Hauptcharaktere zu sichern. Mit Hilfe des Architekten errichtet man Gebäude oder erhält mehr Einfluss in einer Gilde. Der Schiffer hingegen bringt nachgefragte Waren zu beliebig vielen Persönlichkeiten oder in den Palast des Moguls, um einen Gildenauftrag zu erfüllen. Beim Händler kann man Waren tauschen und den Marktwert der Waren auf dem Spielplan verändern. Sehr spannend ist aber auch die Biologin, mit deren Hilfe man die Höhe der Erträge des eigenen Hofes verändern, verbessern sowie den eigenen Meditationslevel erhöhen kann.

Letztere Aktion bezieht sich vor allem auf die freiwillige Meditationsphase, die am Anfang jeder Spielrunde abläuft. In dieser können die Spieler eigene Arbeiter auf dem Spielbrett hinlegen, also meditieren lassen, um so gemäß ihrem jeweiligen Level Meditationspunkte zu generieren und diese für zusätzliche Aktionen auszugeben. Der Haken an der Sache: Meditierende Arbeiter können von denen nachfolgender Spieler verdrängt werden, ohne dass der Spieler zusätzliche Gunst erhält.

In der dritten Phase, der freiwillgen Auftragsphase, kann der jeweilige Spieler Waren an den Hof des Großmoguls liefern. Entweder eine benötigte Ware direkt an Akbar oder zwei Waren, um einen Gildenauftrag zu erfüllen.

Die vorgenannten Aktionen waren allerdings nur die wichtigen Hauptaktionen. Überall im Spiel gibt es noch kleine Zusatzaktionen oder Wertungen die beachtet werden sollten, um so mögliche Synergien zu nutzen. So geben z.B. belieferte Persönlichkeiten verschiedene Boni oder per Boot erreichte neue Anlegestellen am Fluss lösen kleinere Wertungen aus.

Ist eine von drei möglichen Siegbedingungen erreicht, endet das Spiel. Hierzu muss das Boot die letzte Anlegestelle am Fluss erreichen, ein Spieler hat sich in der Gunst einer Gilde ganz nach oben gearbeitet oder aber alle sechs Aufträge einer Gilde wurden erfüllt. Es folgt eine Schlusswertung und anschließend ist derjenige Spieler Sieger, der die meisten Siegpunkte bzw. Rupien angesammelt hat.

Spieletester

15.04.2018

Fazit

Wenn man das Erstlingswerk von Michael KellerLa Granja kennt, das er zusammen mit Andreas Odendahl auf den Weg gebracht hat, sollte man schon eine ganz gute Vorstellung von der Komplexität haben, die einen erwartet. Ist das Spiel zum ersten Mal aufgebaut, wird man von der unglaublich opulenten Grafik und dem reichlichen Material überaus positiv überrascht und könnte darin eher ein anspruchsvolles Familienspiel als ein beinhartes Expertenspiel vermuten, denn von staubtrockenen Tabellen und ähnlichem keine Spur. Schon allein durch das Material wird eine dichte Atmosphäre verbreitet und das Spiel erhält einen hohen Aufforderungscharakter, will quasi sofort ausprobiert werden. Der Spielplan ist ein Kracher und in meinen Augen fast die beste Arbeit von Michael Menzel. Auch die Idee auf der Spielplanrückseite noch einmal nur die Grundgrafik des Spielplans abzudrucken ist gelungen und zeigt die Wertschätzung der Arbeit des Grafilers. Hier hat Quined Games alles richtig gemacht und als Verlag dankenswerterweise den Mut bewiesen statt auf Reduktion und Kosten-Nutzen-Verhältnis auf Ausstattung zu setzen.

Die Spielmechaniken sind weitestgehend bekannt und um ein paar nette zusätzliche Ideen bereichert worden (Stichwort Meditation). Ein Warenwirtschaftssystem gepaart mit einem Arbeiter-Einsatz Mechanismus und so vielen kleinen Stellschrauben versehen, dass ein oder zwei Partien nicht ausreichen, um zu überprüfen, an welchen gedreht werden muss, um ein bestmögliches Ergebnis zu erhalten. Selbst erfahrene Spieler vergewissern sich immer mal wieder, ja nichts vergessen zu haben. An diesem Punkt kann, wie schon weiter oben beschrieben, leider auch die Spielregel nicht immer sofort weiterhelfen, da sich Regelfeinheiten nicht auf Anhieb auffinden lassen.

Agra polarisiert selbst die Vielspieler. Die einen lieben das Spiel für seine grafische Schönheit, die opulente Ausstattung und die vielen Stellschrauben mit der damit verbundenen hohen Variabilität und Interaktivität. Die anderen bemängeln die vielen kleinen Sonderregeln, die in der überbordenden Grafik manchmal untergehende Symbolik oder die eingeschränkte Handhabbarkeit des kaiserlichen Spielplans und machen ihm seine, in vielerlei Hinsicht vorhandene, Vielfalt zum Vorwurf. Hier muss jeder Spieler möglichst durch eine Probepartie selbst entscheiden ob Agra das Zeug hat zu seinem Highlight zu werden. Aber Vorsicht, es ist abendfüllend und die Spieldauer in voller Besetzung knackt locker die Drei-Stunden Marke. Trotzdem sollte man den Versuch unbedingt wagen. Mir persönlich gefällt Agra sehr gut, denn Grafik und Material machen für mich hier den Unterschied und das gewisse Etwas zu einer Vielzahl von ähnlich gelagerten aber austauschbaren und emotionslosen Vielspieler-Spielen aus.

Redaktionelle Wertung:

Plus

  • Material und Grafik mit absolutem Wow-Effekt
  • Hoher Interaktionsgrad
  • Sehr hoher Wiederspielreiz
  • Viele Möglichkeiten um Geld und damit Siegpunkte zu generieren
  • Schöne thematische Einbindung und dadurch dichte Atmosphäre

Minus

  • Spielregel hätte strukturierter sein können
  • Erhöhter Platzbedarf
  • Sehr hohe regeltechnische Einstiegshürde
  • Mindestens eine Probepartie nötig, um die Zusammenhänge genauer zu erfassen
  • Zu viele kleinere Sonderregeln, dadurch in manchen Spielrunden grübellastig
  • Material teilweise nichts für Grobmotoriker

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Details

Auszeichnungen:
Spieleranzahl: 2 bis 4
Alter: ab 14 Jahren
Spieldauer: 60 bis 180 Minuten
Preis: 69,00 Euro
Erscheinungsjahr: 2017
Verlag: Quined Games
Grafiker: Michael Menzel
Zubehör:

1 Spielplan (Vorderseite Spielplan, Rückseite reduzierte Zeichnung des Spielplans)
1 kaiserliches Tableau (wird aus fünf Teilen zusammengebaut)
24 Persönlichkeits-Karten
3 Preismarker
3 Auftragslimitmarker
69 Rupienstücke (28x1, 15x2, 10x5, 10x10, 6x20)
3 Gildenauftragssteine (aus Holz)
1 Kaufmann (Holzfigur)
1 Baumeister (Holzfigur)
1 Boot (Holzfigur)
1 Startspielermarker (aus Holz)
1 Meditationsmarker
1 Würfel (W6)
12 Baustellenplättchen
12 Baubonusplättchen
14 Gunstplättchen
4 Spielertableaus (einer pro Spieler)
32 Abdeckplättchen (acht pro Spieler)
16 Bauern (jeweils vier pro Spielerfarbe)
40 Arbeiter (jeweils zehn pro Spielerfarbe)
12 Einflussmarker (jeweils drei pro Spielerfarbe)
4 Stoffbeutel (einer pro Spieler)
88 Spielermarker (jeweils 22 pro Spielerfarbe)
4 Meditationssteine (aus Glas - einer pro Spieler)
Spielregel (4-fach, deutsch, englisch, niederländisch und französisch)

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